Jenseits von München

Der vermeintliche Meisterschafts-Mitbewerber HSV beschränkte sich beim 1 : 1-Unentschieden gegen Hannover lange aufs Zuschauen. Zu sehen bekamen die Hamburger immerhin kultivierten Fußball

von JAN KAHLCKE

Dieter Hecking sollte Werbung für Filterkaffee machen, so genüsslich zelebriert er eine Tasse aus der Thermoskanne, als die Hamburger Offiziellen längst verschwunden sind. Seine Züge sind so entspannt, dass es niemanden wundern würde, wenn er gleich die Augen schlösse und ganz tief einatmete. Am Ende hatte sein Team zwar nur einen Punkt geholt, aber Hecking ließ sich dennoch ganz in Ruhe noch mal auf der Zunge zergehen, wie der „kleine“ HSV aus Hannover gegen den „großen“ aus Hamburg über weite Strecken die Verhältnisse im Fußball-Norden auf den Kopf gestellt hatte.

„So habe ich mir das vorgestellt“, sagte Hecking. „Wir haben selbstbewusst nach vorne gespielt und den Hamburgern wenige Möglichkeiten zur Entfaltung gegeben.“ Sein Hamburger Gegenüber Huub Stevens mochte nicht widersprechen: „Kann ich in der 46. Minute anfangen?“, leitete er seine Analyse ein. Der Niederländer, der sich für seine letzten Monate in Hamburg viel vorgenommen hat, machte in der ersten Halbzeit einen Mangel an Leidenschaft aus.

Die Hamburger kamen nicht richtig in die Zweikämpfe, sahen im eigenen Stadion Hannovers sicherem Kombinationsspiel nur zu. Es war nur den Konzentrationsmängeln der Hannoveraner Hanke und Stajner geschuldet, dass kein Tor fiel. Bis Guy Demel eher ungeschickt als böswillig Hannovers Christian Schulz im Strafraum zu Fall brachte. Schiedsrichter Günther Perl aus München zeigte auf den Punkt und Szabolcs Huszti traf zum 0 : 1 (42.).

Damit war ein Schuldiger für die Hamburger Malaise gefunden: Noch in derselben Spielminute musste man schon fast um die Gesundheit von Schiedsrichter Perl fürchten, als HSV-Kapitän Rafael van der Vaart nach einem ausgebliebenen Freistoß-Pfiff auf ihn zustürmte. Perl zog ungerührt Gelb, was die Hamburger Gemüter weiter erhitzte. Ob es nicht unglücklich von der DFL gewesen sei, ausgerechnet einen Schiedsrichter aus München zum Nordderby zu schicken, wollten nach dem Spiel gleich mehrere Journalisten von HSV-Manager Dietmar Beiersdorfer wissen. Der sagte lakonisch: „Irgendwoher muss er ja kommen.“

Dabei waren die Frager nicht etwa der Ansicht, Nordderbys seien eine Angelegenheit, aus der sich Süddeutsche tunlichst rauszuhalten hätten. Nein, in Hamburg gibt es immer noch eine Menge Leute, die den HSV in einem Rennen mit dem FC Bayern um die Deutsche Meisterschaft wähnen und deshalb einen Münchner Schiedsrichter in Hamburg derzeit grundsätzlich für eine Fehlbesetzung halten.

Dabei taten die Hamburger wenig, um ihren Anspruch auf den Titel zu untermauern und rangieren nach diesem Unentschieden in der Tabelle sogar hinter Leverkusen. Zu ihrem Ausgleichstreffer kamen sie auf eher kuriose Weise: Eigentlich war Hannover am Drücker; Huszti, den die Hamburger einfach nicht in den Griff bekamen, tauchte allein vor Frank Rost auf, brachte den Ball aber nicht im Tor unter. „Wenn der drin ist, sitze ich hier als Sieger“, träumte Trainer Hecking hinterher. Stattdessen fliegt Rosts Abschlag einmal übers ganze Feld zu Guerrero, der auf van der Vaart ablegt. Hannovers Torwart Robert Enke pariert dessen Schuss noch, aber Olić staubt zum 1 : 1 ab.

Es bleibt dabei: Der Hamburger SV ist sogar dann auf Rafael van der Vaart angewiesen, wenn der einen schlechten Tag erwischt hat. Der wechselwillige Star ist an mehr als der Hälfte aller Hamburger Tore beteiligt. Diesmal musste Trainer Huub Stevens seinem allein in der Spitze wirkungslosen Landsmann allerdings erst mit Olić und Guerrero zwei weitere Stürmer an die Seite stellen – für den gefürchteten Defensivtaktiker Stevens war das an der Grenze zum Harakiri. Zu mehr als einem Tor reichte es dennoch nicht mehr.

Glück hatten die Hamburger am Ende des Spiels: Hamburgs Nigel de Jong hätte nach einem üblen Tritt gegen Sergio Pinto vom Platz fliegen können. Aber noch ehe Perl pfeifen konnte, trat Pinto zurück und reklamierte so den roten Karton für sich. Vielleicht sollte er sich vom Trainer mal bei einer Tasse Kaffee das Prinzip Entspannung erklären lassen.