Wikinger sollen Welterbe werden

Schleswig-Holstein will seine beiden Wikinger-Kulturstätten Danewerk und Haithabu als Unesco-Welterbe anerkennen lassen. Der Antrag wird länderübergreifend mit Island, Dänemark und Schweden gestellt. Auch Kanada soll mitmachen

Haithabu wurde wahrscheinlich um 780 von friesischen Händlern gegründet. Ab 811 ließ Dänenkönig Göttrik den Handelsplatz zu einem der bedeutendsten nordeuropäischen Siedlungsplätze der Wikingerzeit ausbauen. Hier liefen die wichtigsten Süd-Nord-Fernhandelswege und mehrere natürliche Wasserstraßen zusammen. Wissenschaftler gehen davon aus, dass um das Jahr 950 bis zu 3.000 Menschen dort gelebt und gearbeitet haben. 1050 zerstörten norwegische Wikinger die Siedlung weitgehend, 16 Jahre später brannten slawische Truppen Haithabu endgültig ab. Das Wattenmeer an der Nordseeküste ist mit mehr als 10.000 Quadratkilometern das größte tideabhängige Sand- und Schlickwatt der Welt. Dort leben rund 3.200 Tierarten, 250 von ihnen kommen nur in den Salzwiesen des Wattenmeeres vor. Zudem ist es ein weltweit einmaliger Lebensraum für Millionen von Zugvögeln und eine Vielzahl bedrohter Tiere und Pflanzen. Die deutschen Anteile sind als Nationalparks geschützt. Der hambur-gische Nationalpark um die Inseln Neuwerk und Scharhörn vor der Elbmündung umfasst lediglich 137,5 Quadratkilometer.  SMV

VON ESTHER GEISSLINGER

„Wir saufen den Met, bis keiner mehr steht“ – nein, so wild wie im Torfrock-Song über das Alltagsleben der Wikinger ging es gestern im Kieler Landtag nicht zu. Mit Kaffee und höchstens einem Schlückchen Sekt stießen VertreterInnen von vier Nationen auf ein gemeinsames Projekt an: Mehrere „Phänomene und Stätten“ der Wikinger sollen Unesco-Welterbe werden. Dazu stellen Island, Dänemark, Schweden und Deutschland einen Antrag, weitere Länder könnten sich anschließen – Norwegen und Kanada sind angefragt und signalisierten Wohlwollen. Alle Beteiligten rechnen sich gute Chancen aus, dass der Antrag angenommen wird: Staatenübergreifende Projekte sind bisher selten und „entsprechen dem Geist der Unesco“, sagte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen in seinem Grußwort.

Vor allem Deutschland profitiert von dem Vorhaben: Schleswig-Holstein will mit gleich zwei Stätten neu in die Liste der Welterbe-Orte aufgenommen werden. Es geht um die ehemalige Wikinger-Stadt Haithabu, die an einem Noor der Schlei bei Schleswig liegt und im neunten bis elften Jahrhundert ein europaweit bedeutendes Handelszentrum war, und das angrenzende Wallsystem Danewerk, dessen Anfänge ins späte siebte Jahrhundert zurückreichen. Das Danewerk bildete einen Riegel von der Nord- zur Ostsee und sperrte so den Zugang nach Jütland, außerdem ließen sich hier die Seehandelsrouten zwischen den Meeren kontrollieren.

Die drei Partnerländer haben bereits Wikinger-Monumente in die Liste der Unesco aufnehmen lassen: In Dänemark zählt dazu eine Anlage mit Grabhügeln, Runensteinen und einer Kirche in Jelling, in Island ist es der Thingvellir-Nationalpark mit seinem Thingplatz, an dem sich die skandinavischen Siedler versammelten und Gerichtsurteile fällten, in Schweden haben die Handelsorte Birka und Hovgarden im Mälarsee-Gebiet bereits den Unesco-Status.

Ein weiteres Wikinger-Zentrum mit Welterbe-Anerkennung liegt in Ost-Kanada, es ist ein früher Siedlungsplatz der Seefahrer, die unter Leif Erikson von Grönland aus in die neue Welt aufgebrochen waren.

Das jetzt geplante Projekt will diese Orte unter einem Dach vereinen – und auf die Bedeutung der bärtigen Seefahrer für Europa und die Welt hinweisen. „Viele Menschen denken bei Wikingern nur an Gewalt und Seeräuberei“, sagte die isländische Kulturministerin Thorgedur Katrin Gunnarsdóttir gestern in Kiel. „Und oft war das ja auch so. Aber die Kultur war vielschichtiger.“

Wikinger waren nicht nur Räuber, auch Händler, nicht nur Raufbolde, auch kluge Strategen, nicht nur Fürsten unterworfen, sondern bei den Thing-Versammlungen auch durchaus demokratisch. Daher wollen die Nachfahrer der Wikinger in ihrem Antrag nicht nur auf die heute noch sichtbaren Funde wie Grabhügel oder Ringwälle hinweisen, sondern auch auf das unsichtbare Erbe wie Rechte für Frauen, die Besiedelung Nordamerikas und die Bedeutung des Fernhandels. Wikis starke Männer als frühe Vertreter der Globalisierung: „Es gab eine hohe Mobilität von Ideen und Personen“, sagte Herwig Guratzsch vom Landesmuseum Schloss Gottorf.

Anders als beim Streit um die Anerkennung des Wattenmeers als Weltnaturerbe – die Niederlande, Schleswig-Holstein und Niedersachsen haben einen entsprechenden Antrag gestellt, Hamburg weigert sich mit Hinweis auf die geplante Elbvertiefung (taz berichtete) – gibt es bei den Wikingern keine zwei Meinungen: Der Unesco-Titel stört niemanden und kostet nicht viel. Die bestehenden Stätten in den anderen Ländern sind bereits Museen, und auch das heutige Schleswig kann durch die Aufwertung seiner Vorgängerstadt Haithabu nur profitieren.

Im Zentrum der wikingerzeitlichen Wallanlage liegt ein Museumsdorf mit Hütten und Werkstätten, im benachbarten Museum sind die Fundstücke ausgestellt, darunter ein Kriegsschiff aus dem zehnten Jahrhundert, das im Hafen von Haithabu gefunden wurde. Mehr als 130.000 BesucherInnen zählte das Museum im Jahr 2006, es sei eine „kulturelle Top-Adresse in Norddeutschland“, sagte Ministerpräsident Carstensen in seiner Rede, ein „authentischer Ort der Belehrung mit hoher touristischer Attraktivität“, der es verdient habe, als Weltkulturerbe besonders geschützt zu werden. Neben mehr Gästen sei auch mit mehr Besuchen von WissenschaftlerInnen zu rechnen, hofft Carstensen: „Wir versprechen uns internationales Interesse.“