berliner szenen

Alle wissen alles

Im Netz, in Kreuzberg

Berlin–Beirut–Damaskus–Teheran–Berlin. Schon allein für diese Reiseroute hat man als junger Mensch ohne Kreditkarte und Handyvertrag (suspekt!) wahrscheinlich einige Wochen lang die Staatsdiener am Hacken. Dementsprechend bitte ich eine Freundin, die in diesen Tagen genau jene Route zurücklegt, mir keine weiteren Mails mehr zu schicken – ob ich das ernst meine oder nicht, kann ich mir selber nicht so genau beantworten. Man hört im Zeitalter der virtuellen Kommunikation ja so einiges von rollstuhlfahrenden Spionen. Ihre mir zugetragene Erkenntnis, „Beirut sei das Paris des Nahen Ostens“, ist ohnehin schon etwas überholt. Inzwischen ist Beirut gleichzusetzen mit dem nahen Osten von Paris, und das liegt nicht nur an den französischen Geheimdienstlern vor Ort.

Als ich am nächsten Tag durch meinen seit Jahren von mir vernachlässigten Heimatbezirk Kreuzberg spaziere, treffe ich einen verlorenen Freund. Wir plaudern zwanglos, er hat einiges zu erzählen, berichtet von seinem Job bei der BVG, kann mir aber die Frage nicht beantworten, warum sich Busfahrer gegenseitig grüßen, Tramfahrer ebenso – man jedoch noch nie einen Herrn im Führerstand einer Tram sah, der einem entgegenkommenden busfahrenden Kollegen freundschaftlich zunickt.

Als ich ansetze, aus meinem Leben zu berichten, legt er mir beruhigend die Finger auf mein Handgelenk und spricht: „Weiß ich doch schon alles. Ich hab mir dein studiVZ-profil angeguckt!“ Wieder zu Hause, setze ich mich frustriert an den Rechner und beginne, Mails an meine auf der Achse des Bösen reisende Seelenverwandte zu tippen, die keinen anderen Inhalt als Stichworte für Terrorfahnder aufweisen. Von A wie Anschlag über O wie Osama bis Z wie Ziel. JURI STERNBURG