Hungerstreik gegen Russlands Unrechtsjustiz

Inhaftierter Ölmagnat Chodorkowski verstärkt von Sibirien aus Solidarität mit todkrankem Untersuchungshäftling

BERLIN taz ■ Seit dem 30. Januar befindet sich der frühere Chef des russischen Ölkonzerns Yukos, Michail Chodorkowski, im Hungerstreik. Er nimmt nur Wasser zu sich. Damit will Chodorkowski, der im sibirischen Tschita eine achtjährige Freiheitsstrafe abbüßt, gegen die schlechte Behandlung seines früheren Stellvertreters Wassili Alexanjan protestieren. Der 36-Jährige befindet sich seit zwei Jahren in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Unterschlagung und Geldwäsche.

Alexanjan beteuert seine Unschuld. Er ist mit HIV infiziert und unheilbar an Lymphknotenkrebs erkrankt. Trotz dreimaliger Aufforderung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wird dem fast Erblindeten eine Behandlung in einer Fachklinik verweigert.

Seinen Hungerstreik werde er so lange fortsetzen, bis Alexanjan das Gefängnis verlasse und in eine Spezialklinik eingeliefert werde, ließ Chodorkowski wissen. Über seinen eigenen Gesundheitszustand lassen sich nur Vermutungen anstellen. Chodorkowskis Anwalt Juri Schmidt berichtet, dass ihm sein Mandant verboten habe, über seinen Gesundheitszustand zu sprechen. Inzwischen trinke er wieder Wasser, was er die ersten drei Tage seines Hungerstreiks abgelehnt habe. Auch Chodorkowskis Mutter Maria Filipowna kann nichts zu seinem Zustand sagen.

Die Verteidigung von Alexanjan berichtet über Erpressungsversuche der Staatsanwaltschaft. So habe man diesen wissen lassen, dass er sofort die nötige medizinische Behandlung erhielte, wenn er gegen Chodorkowski aussage. Unterdessen mehren sich die Proteste gegen die unmenschliche Behandlung Alexanjans. Täglich finden vor dem Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft in Moskau Mahnwachen statt.

Ende Januar hatten sich führende Menschenrechtler Russlands, unter ihnen Sergei Kowaljow, der Memorial-Vorsitzende Arseni Roginski, die Flüchtlingsbeauftragte von Memorial, Swetlana Gannuschkina, und Oleg Orlow, an Russlands Menschenrechtsbeauftragten Wladimir Lukin gewandt. Sie baten ihn, sich in den Fall Alexanjan einzumischen. Aus Solidarität mit Chodorkowski und Alexanjan sind fünf Moskauer Menschenrechtsaktivisten am 4. Februar ebenfalls in einen Hungerstreik getreten. Mehrere Menschenrechtsorganisationen von Sankt Petersburg, unter ihnen die Umweltorganisation Bellona und die Liga der Wählerinnen von St. Petersburg sowie die Organisation Stimme Beslans unterstützen Chodorkowski in seinem Kampf für seinen ehemaligen Stellvertreter. Sie baten ihn jedoch gleichzeitig, seinen Hungerstreik zu beenden.

Die Aktionen für den todkranken Alexanjan werden weitergehen. Julia Baschinowa, selbst seit dem 4. Februar im Hungerstreik, sagte der taz: „Inzwischen finden jeden Tag hier in Moskau Aktionen für Alexanjan statt. Bereits am vergangenen Freitag waren 200 Personen unserem Aufruf gefolgt und hatten auf dem Puschkin-Platz demonstriert. Für Mittwoch ist wieder eine Aktion am Puschkin-Platz vorbereitet. Wir rechnen mit 300 Teilnehmern.“ An diesem Tag will jetzt plötzlich das Moskauer Simonowski-Gericht laut einer Meldung der Nachrichtenagentur RIA Nowosti von Dienstagnachmittag entscheiden, ob der Prozess gegen Alexanjan für Therapiezwecke doch eingestellt wird. Das wäre ein großer Erfolg der Proteste.

Chodorkowski, langjähriger Chef des Yukos-Ölkonzerns und potenziell gefährlicher Herausforderer von Präsident Putin, war deshalb 2003 wegen Betrug und Steuerhinterziehung verhaftet und 2005 zu einer achtjährigen Haftstrafe verurteilt worden. BERNHARD CLASEN