hamburger szene
: Musterkind

Sie ist halt super. Hat nicht nur einen engelsgleichen Lockenkopf und entzückende blaue Augen, nein, sie ist auch noch clever. Begabt bestimmt, gefördert auf alle Fälle. Und so spielt sie Klavier, sagt Tonleitern auf, dur und moll, zählt bis 20 in mindestens vier Sprachen, auf russisch sogar bis 1.000, tanzt Ballett – das ganze Programm.

Wäre ich so alt wie sie, nämlich drei, wäre ich noch zu jung, um eifersüchtig zu sein. Wären wir aber pubertierend in der selben Klasse – ich würde sie hassen. Weil ich aber zehnmal so alt bin, finde ich sie einfach entzückend. Sie mich übrigens auch. Ich habe ihr nämlich mal eine Möhre geschenkt, vor Monaten.

Und so stürzt sie sich jetzt auf mich, als ich zur Wohnungstür reinkomme, und zeigt mir ihre neueste Errungenschaft: ein Blättchen übers Zähneputzen, erzählt für Kinder. Mit Bakterienmännchen, die auf riesigen Kinderzähnen herumkrabbeln und mit kleinen Beilchen und Äxtchen Schaden am weißen Schmelz anrichten. „Radha hätte schwören können, dass Bakterien anders aussehen“, erklärt mir ihre Mutter. Radhas Tante ist nämlich Zahnärztin, dem Kind sind Bilder vom echten Zahnverfall quasi mit in die Wiege gelegt worden. Weshalb Radha nicht nur aufgeklärt ist, sondern sich auch mit Eifer die Zähne putzt.

Was für ein Musterkind. Da müssen sich die Bauarbeiterbakteriendesigner warm anziehen. Nicht auszudenken, wie die Designer und das Nachbarskind im Kunst-LK klargekommen wären.REBECCA CLARE SANGER