Zuckersüße Randale

Liebliche Melancholie, tiefe Verzweiflung und verschrobener Lebenswille. Heute Abend stellt die kanadische Indiepop-Band „Stars“ ihr neues Album „In Our Bedroom After The War“ im Knust vor

So zuckersüß wie von den kanadischen „Stars“ ist das Begehren nach Aufstand selten serviert worden. Vor knapp zwei Jahren gelang den mittlerweile in Montreal beheimateten, mit einer gehörigen Portion mal depressiver, mal manischer Verrücktheit ausgestatteten Indiepoppern mit ihrer fünften Single „Ageless Beauty“ in Kanada und kurz darauf auch in Europa der Durchbruch: Zwar hinterlasse die Grausamkeit Löcher, an der Küste aber halte die Zeit ihre Versprechen und so werden wir immer ein Licht bleiben, gibt Amy Millans sanfte Stimme zu verhalten rockender Gitarre Rätselhaftes zu bedenken.

Auf dem dazugehörigen Album „Set Yourself On Fire“ wird dann deutlich, worin die Mission des mit dem Torontoer Indieklüngel fest verbandelten Quintetts besteht: Wenn es nichts mehr anzuzünden gibt, muss man sich selbst in Brand setzen. Als Brandbeschleuniger fungieren süße Melancholie, tiefste Verzweiflung und ihr auf den ersten Blick scheinbares Gegenüber: hektischer, enthusiastischer, verschrobener Lebenswille. Dabei sind es neben blubbernden Synthesizern Gitarren, die sich ein wenig mehr trauen, und immer überraschenden Rhythmuswechseln vor allem Amy Millans und Torquil Campbells gleichermaßen engelsgleiche, sich perfekt inszenierende, Duette liefernde Stimmen, die den „Stars“-typischen Charme ausmachen. In jedem Fall war „Set Yourself On Fire“ einer der Indie-Hits von 2005.

Vor ein paar Monaten haben die Montrealer Enthusiasten nun nachgelegt. Nach der Aufforderung zur Selbstinbrandsetzung befinden wir uns dieses Mal in unserem Schlafzimmer – nach dem Krieg. Dreieinhalb Minuten lang werden wir unter dem programmatischen Titel „The Beginning After The End“ instrumental darauf eingestimmt, dann verkündet Frau Millan – die in der Zwischenzeit ihr Solodebüt „Honey from the Tombs“ veröffentlicht hat –, dass die Nacht begonnen hat und wir unsere Namen und unsere Furcht zu vergessen hätten. Kurz darauf wünscht Herr Campbell, zur Randale gebracht zu werden, um dort zu bleiben, und nur wenig später fällt der Satz: „Oh, how could anyone not want to rip it all apart?“ Dazwischen: 70er-Disco-eskes, Kopfstimmen, Einsame, die sich nicht treffen, kampfbereite Entschlossenheit und Melodien, die sich schwer vergessen lassen. Stets eingepackt in rosarote Zuckerwatte, versteht sich.

Unterstützt werden „Stars“ heute Abend von den „Arts&Crafts“-Labelkollegen und Freunden von Andrew Whitemanns „Apostle of Hustle“. Hauptberuflich zupft der ungeschlagene Frank-Zappa-Lookalike bei der kanadischen Indie-Supergroup „Broken Social Scene“ die Gitarre, nebenbei vereint er mit den Betriebsamkeitsaposteln Indiepop, New Wave, Country, Blues, Jazz, Krautrock und seine Leidenschaft für Folkloristisches aus allen Ecken der Welt. Vor allem aber hat er sein Herz in den Tropen verloren – Whitemann hat einige Jahre auf Cuba gelebt und versucht seitdem leidenschaftlich und mehr oder weniger erfolgreich, der Tanzmusik von der Insel des tropischen Sozialismus nachzueifern. Was dabei herauskommt, ist in jedem Fall eine charmante, heimatlose Musik. Und so heißt auch das aktuelle Album: „National Anthem of Nowhere“.ROBERT MATTHIES

Do, 7. 2., 21 Uhr, Knust, Neuer Kamp 30