taschenmesserstecher vor gericht
: Bewährung im dritten Anlauf

Dreimal wurde Jason M. verurteilt, am Mittwoch wahrscheinlich endgültig. Der Sprachwissenschaftler bekam vom Landgericht wegen gefährlicher Körperverletzung eine Haftstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. Aber nur, wenn die Anwälte des aus Atlanta stammenden Manns nicht erneut juristische Fehler entdecken. Dies würde zur Aufhebung des Urteils durch den Bundesgerichtshof (BGH) führen, wie es bereits zweimal geschehen ist.

Die 40. Große Strafkammer kam zu einer deutlich anderen Einschätzung des Geschehens als zwei andere Kammern zuvor. Beide hatten den heute 32-Jährigen wegen versuchten Totschlags zu drei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Doch beim ersten Mal hatte die Kammer die Tötungsabsicht nicht plausibel begründet, beim zweiten Mal unterstellte eine andere Kammer eine Behauptung als wahr und legte sie ohne vorherigen Hinweis zum Nachteil des Angeklagten aus: ein Verfahrensfehler.

Über drei Jahre sind zwischen Tat und Urteil vergangen, ein Jahr davon verbrachte der Angeklagte in Untersuchungshaft. Oft und mit vielen Zeugen wurde das Geschehen rekonstruiert. Das neue Urteil geht von folgender Version aus: An jenem 8. November 2004 lag der Angeklagte mit Grippe im Bett. Über seiner Erdgeschosswohnung lebte ein heute 34-Jähriger. Der kam gegen vier Uhr von einer Premierenfeier und schaltete seine Stereoanlage ein.

Jason M. erwachte und klingelte an die Tür des Nachbarn, dem er niemals zuvor begegnet war. Genervt öffnete jener mit nacktem Oberkörper die Tür und fuhr M. an: „Was willst du Penner?“ Dann stach M. zu mit einem Taschenmesser, das er nach eigener Aussage immer bei sich trägt, seit er einmal überfallen worden ist. Es kam zu einem Handgemenge. Mit blutender Wunde lief der Nachbar auf die Straße, ein Taxifahrer rief die Polizei. Dank einer Notoperation überlebte das Opfer. Sein Kontrahent wurde festgenommen.

M. rechtfertigte sich mit Notwehr. Doch dieser Version folgte kein Gericht. Stattdessen fragten sich alle Richter: Wie konnten zwei unbescholtene, nicht gewalttätige Männer so aneinandergeraten? Die jetzt urteilenden Richter sahen es so: Der spröde, einzelgängerische M., der mit 15 Jahren sein Elternhaus verließ, um dem prügelnden Stiefvater zu entkommen, habe die Situation völlig falsch eingeschätzt und überreagiert. Er habe den tätowierten, genervten Nachbarn für bedrohlich gehalten. „Es war eine subjektive Bedrohung, keine objektive“, urteilt die Richterin. Im Übrigen hält sie den Angeklagten, dessen Haare im Laufe der drei Prozesse deutlich ergrauten, mit der erlittenen Untersuchungshaft und den immensen Prozesskosten für genug bestraft. UTA EISENHARDT