Durch Honeckers Hornbrille

Als Maik Schwolow im Konsum zwei Dutzend Brötchen für seine Würstchenbude kaufte, bekam er einen Verweis wegen „Entzug aus dem Bevölkerungsbedarf“ und stellte einen Ausreiseantrag. Heute betreibt er ein Ostalgie-Museum am Alex

Abhörgeräte liegen neben Kinderpuppen wie Fuchs und Elster, Erich thront darüber

VON LAVINIA LAZAR

Wenn Maik Schwolow eine Zetti-Schokolade sieht, kommt er ins Schwärmen. Vor allem, wenn sie noch aus der DDR stammt und eine der seltenen Sorten ist, die für den Export bestimmt waren. Dass die Schokolade nicht mehr genießbar ist, stört ihn dabei wenig. Schließlich soll sie nur zum Spee-Waschmittel, den NVA-Taschen, dem Sandmann, den Pionierhalstüchern und den anderen Kultgegenständen in seiner Sammlung passen.

„Es ist eine Sucht! Sammler sind einfach verrückt“, sagt er kopfschüttelnd und selbstironisch. Maik Schwolow hat kürzlich im Berlin Carré am Alexanderplatz ein Ostalgie-Museum eröffnet. Auf 300 Quadratmetern will der 41-jährige Kurator das Leben in der DDR zeigen, und zwar so, „wie es wirklich war“. Drei Jahre lang hat er gesammelt, und vieles liegt noch im Lager. In die Ausstellung haben nur die repräsentativsten Stücke Eingang gefunden, also das, was jeder Ostdeutsche aus seiner Kindheit oder Jugend kennt. Daher ist alles „Made in GDR“: von der rot-lila-gemusterten 70er-Jahre-Tapete bis hin zur leisen Hintergrundmusik. Nur an originale Vitrinen konnte er nicht rankommen, gibt Schwolow schmunzelnd zu. Und dennoch ist der Eindruck täuschend echt.

Mit dem Eintritt ins Museum begibt man sich auf Zeitreise und landet im „Konsum“, dem muffigen Ost-Lebensmittelladen mit Tempo-Bohnen und ATA-Scheuermilch, oder man versinkt in den „Sitzeiern“ des Tschechen Peter Ghyczy, einem Designklassiker der 70er-Jahre. Eine komplett nachgebaute Wohnung, mit Möbeln von Hellerau und allerlei bunten Plastikgegenständen, aber auch ein Technik-, Sport- und Militärraum machen den Alltag in der DDR in seiner ganzen Absurdität erfahrbar. Da liegen Abhörgeräte neben Kinderpuppen wie Fuchs und Elster, und Honecker guckt derweil durch seine Hornbrille streng in den Raum, in dem die Schlager des Ostens ertönen. Pfeifend streift der Kurator in seiner roten Latzhose durch die Ausstellungsräume, als wären es seine eigenen vier Wände. Exponate sind für ihn wie Alltagsgegenstände. Man darf sie ruhig auch anfassen.

Eigentlich erledigt Maik Schwolow Wohnungsauflösungen. Als er bei der Arbeit immer wieder auf längst in Vergessenheit geratene DDR-Sachen stieß, musste er erst mal lachen und lagerte die Stücke mit hohem Wiedererkennungseffekt spaßeshalber im Keller. Doch bald wurde daraus eine ernste Angelegenheit: Unmerklich war er zum Sammler geworden. „Es macht Spaß, auf Schatzsuche zu sein.“ Seine Augen funkeln und mit Begeisterung zeigt er dem Besucher seltene Exponate, wie etwa einen Fahrtrainer (Simulator für Fahranfänger), eine Siegermedaille des Radrennfahrers Jürgen Simon von den Olympischen Spielen in Rom 1960, Deckenleuchten aus dem Palast der Republik oder zwei kunstvoll gearbeitete Bleiglasfenster mit FDJ- und Pionier-Symbolen. Frau und Tochter finden seine Leidenschaft amüsant, und Freunde und Bekannte weisen ihn prompt darauf hin, wenn sie von vielversprechenden Auflösungen, etwa von Krankenhäusern oder Fabriken, hören.

„Warum soll man es vergessen? Es gehört einfach dazu“, verteidigt sich der selbst ernannte Kurator gegen die Kritik mancher Historiker, die einen solch verklärenden Umgang mit DDR-Geschichte – die Exponate werden ohne Informationstafeln oder jegliche Kommentare zur Schau gestellt – höchst problematisch finden. Schwolow hat zwar versucht, das Politische so weit wie möglich auszusparen, doch Zeitungen mit Wahlergebnissen von 99,87 Prozent oder Fotografien aus dem Nachlass eines Junge Welt-Reporters machen deutlich, wie sehr die Politik mit dem Alltag verwoben war. Die Kritik der Fachleute kann Schwolow jedoch nicht nachvollziehen. „Mir geht es ja nicht darum, DDR-Geschichte zu dokumentieren, ich will einfach den Alltag zeigen und die Besucher daran erinnern“, erklärt Schwolow selbstbewusst und fügt hinzu: „Ich bin kein Freund der DDR.“

Doch wenn man die Leidenschaft spürt, mit der er von manchen Erfindungen aus der Zeit berichtet, oder den Eifer sieht, mit dem er westdeutschen Besuchern versichert, dass sie damals „alles hatten“, so hört man schon eine nostalgische Note aus seinem Tonfall heraus. Umso überraschender wirkt daher die Tatsache, dass Schwolow ein knappes Jahr vor der Wende einen Ausreiseantrag gestellt hat. Als er es wagte, im Konsumladen zwei Dutzend Brötchen für seine Würstchenbude zu kaufen, bekam er einen Verweis wegen „Entzug aus dem Bevölkerungsbedarf“. Seine damalige Freundin, die im Außendienst tätig war, wurde gefeuert, und er konnte sich nicht mehr vorstellen, unter solchen Bedingungen zu arbeiten. Es war die völlige Frustration, die ihn zu diesem Schritt führte. Dabei war Schwolow wohl weniger bemüht, das System zu unterminieren, als einfach die Hindernisse in seinem persönlichen Lebensweg zu umgehen. Doch nach über 17 Jahren ist das eine alte, fast vergessene Geschichte. Heute erinnert er sich gern an die bewegten Jugendjahre, und dieses Gefühl teilen vermutlich viele Familien aus den neuen Bundesländern – zumindest stellen sie über 90 Prozent der Museumsbesucher. Nicht selten wünschen sie der Ausstellung ein langes Leben und „noch viele Spenden von Exponaten“. „Vergangene Woche kam wieder ein Päckchen mit Lebensmitteln“, erzählt Schwolow begeistert. Dass damit für das Kapitel Aufarbeitung der DDR-Geschichte wenig gewonnen ist, ist die andere Seite der Medaille.

Doch mit seiner Ausstellung hat er den Nerv der Zeit getroffen, einer Zeit, in der ernsthaft über eine Neuauflage des Trabis verhandelt wird und in welcher der Kitsch aus dem Osten schon wieder cool ist. Vielleicht braucht es eine Weile, bis solche Gegenstände Patina bekommen, bis man sie mit einem gewissen Abstand betrachten und ihre historische Bedeutung sehen kann. Schließlich hat es auch in der Wende-Euphorie eine hitzige Debatte darüber gegeben, ob Teile der Berliner Mauer zu Dokumentationszwecken erhalten werden sollten. Heute ist die Gedenkstätte Berliner Mauer eine Selbstverständlichkeit, Mauerstückchen haben sogar Kultcharakter und fehlen in keinem Kiosk mit Berlinalia.

„Viele sagen, das sind die Antiquitäten von morgen“, sagt Maik Schwolow und hofft darauf, dass sich seine Investition lohnen wird. Mittlerweile ist er kein Gelegenheitssammler mehr, sondern einer der Höchstbietenden bei Ebay. Vielleicht kauft ihm mal ein Geschichtsmuseum die ganze Sammlung ab.