Im Kreis mit einem Geist

Vergangene Avantgarden recyceln ist in. Für das Duo Rubato hat das auch eine biografische Bedeutung: „Zukunft_erinnern_reloaded“

In den Achtzigerjahren war Gerhard Bohner ein von vielen Tänzern zwar geschätzter, dennoch auch isoliert arbeitender Choreograf. Er trat in einer Zeit, als viele Compagnien sich einem leidenschaftlichen und virtuosen Stil verschrieben, fast wie ein Wächter der Abstraktion und der Autonomie des Tanzes auf, die sich seine Generation (geb. 1936) hatte erkämpfen müssen. Seine Performances, Solos zumeist in der Akademie der Künste, verlangten eine hohe Konzentration, um seinen Recherchen über die Bedingtheiten zwischen Figur und Raum zu folgen. Gleichwohl blieb auch nach seinem Tod 1992 sein Einfluss auf andere Choreografen groß, die in der Auseinandersetzung mit Bohner oft Grundsätzliches klären wollten. Er wurde ihr Katalysator, ging es darum, sich von geliehenen und assoziativen Bedeutungen der Bewegung zu befreien. In der Art bezog sich auch das Duo Rubato auf ihn, das Anfang der Neunzigerjahre noch mit Bohner zusammengearbeitet hat, in ihren eigenen Stücke oft aber auch andere, wildere Wege ging.

Wenn Rubato heute in einem Solo, das Jutta Hell konzipiert hat und Dieter Baumann tanzt, wieder an Bohner anknüpft, hat das also eine lange Vorgeschichte. Es passt aber auch erstaunlich gut in eine Zeit, in der die Konzepte vergangener Avantgarden von viel später geborenen Künstlern (in der Musik, in der bildenden Kunst) wieder befragt werden, ob sie denn noch taugen als Instrumente, die Gegenwart zu verstehen. Nur mit dem Unterschied, dass Rubato diese Rückkehr zu den eigenen Ausgangspunkten regelmäßig betrieben hat.

So setzen sie mit „zukunft_erinnern_reloaded“ einen Prozess fort, aus dem sie schon einige Stücke gemacht haben, in Berlin, aber auch bei ihren Arbeitsaufenthalten in China mit chinesischen Tänzern. Sie arbeiten auch in der neuen Berlin-Fassung mit Videobildern aus den letzten Proben von Gerhard Bohner, dessen asketischer grauhaariger Gestalt Dieter Baumann allmählich erstaunlich ähnlich sieht. Wenn sich am Ende beide Tänzer auf den Kreislinien, die sie erst nach strengen Exerzitien über einzelne Linien, Raumsegmente und isolierte Teile des Bewegungsapparates in den Raum hineingeschrieben haben, drehen, der eine hinten im Video, der andere vorne auf der Bühne, dann legt sich doch ein starkes Gefühl über diese Bilder: Man denkt an Hamlet, der mit dem Geist seines toten Vaters spricht, bei dieser Hommage. Und es ist gut, dass dies erst ganz am Ende des ungefähr einstündigen Stücks geschieht.

Bis dahin sind der Tanz und sein Verhältnis zu den Videobildern von einer Sprödigkeit, der die Musik von Lutz Glandien noch eins draufsetzt. Er lädt den Raum mit lauten, druckvollen, bohrenden Klängen auf, die große Maschinen an der Arbeit vermuten lassen. Vor diesem vibrierenden und eigentlich alles verwischenden Sound zeichnet sich der einzelne Mensch da vor uns auf der Bühne umso schärfer ab: die Schulter, die sich dreht, seine Hand, die sich ausstreckt, die Finger, die ins Licht greifen. Man glaubt, Muskeln, Sehnen, Nerven bei der Arbeit nicht nur zu sehen, sondern fast schmerzhaft zu spüren. Kein Detail ist hier dem Zufall überlassen; jedes steht für unendlich viele andere, die auch an seiner Stelle möglich gewesen wären. Aber nur dieses wurde ausgewählt. Auch wenn man nicht nachvollziehen kann, weshalb, so spürt man doch die Arbeit, die hinter den Entscheidungen steckt. Das ist es, was die Spannung des Solos ausmacht.

KATRIN BETTINA MÜLLER

In der Halle, Eberswalder Str. 10–11, 10437 Berlin, 15.–17. Februar, 20 Uhr