Land ohne Farbe

Keine Volten, wenig Worte: Lance Hammers Debüt „Ballast“ (Wettbewerb) ist eine schöne Überaschung

Goldene Regel für den Berlinale-Wettbewerb: Je weniger ein Film anstrebt, umso mehr erreicht er. Wie viele hochdramatische Konstellationen hat die Leinwand des Berlinale-Palastes in den letzten Tagen über sich ergehen lassen müssen. Und dann läuft, ganz am Ende, ein Debüt aus den USA, „Ballast“ von Lance Hammer, und zeigt, dass es auch ganz anders geht. Zurückhaltend, ohne verwegene Konstruktionen und Plotvolten, ohne viele Worte und Erklärungen. Dafür steckt in ein paar Einstellungen schon ein ganzer Kosmos.

Es ist ein Mikrokosmos aus Armut, Verelendung und den vergeblichen Versuchen einer afroamerikanischen Familie, darin zurechtzukommen. Lance Hammer folgt drei Figuren. Zunächst ist da Lawrence (Michael J. Smith Sr.), dessen Zwillingsbruder sich mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben genommen hat. Als ein Nachbar vorbeikommt, um nach dem Rechten zu sehen, sitzt Lawrence erstarrt auf dem Sofa; er sagt kein einziges Wort, irgendwann steht er auf und geht ins Nebenzimmer. Ein trockenes kurzes Geräusch, viel zu trocken und knapp für einen Schuss – so, als könnte es für kein Leid verantwortlich sein. In der nächsten Einstellung liegt Lawrence auf dem Boden, an der Wand ein blutiger Fleck.

Lawrence überlebt. James, ein Zwölfjähriger (Jimmyron Ross), sucht jetzt seine Nähe, es dauert eine Weile, bis man erfährt, dass er der Sohn von Lawrence’ totem Bruder ist. James wohnt mit seiner Mutter Marlee (Tarra Riggs) im Trailerpark. Als James davon spricht, dass er gerne im Verein Basketball spielen würde, rechnet sie aus: 20 Dollar. „Wir müssen sehen, wie wir die zusammenbekommen“, sagt sie dem Kind, als sie es zu Bett bringt.

„Ballast“ spielt in Mississippi, im Winter. Das flache Land hat alle Farben verloren, die sumpfigen Flächen sind manchmal unter einer dünnen Eisschicht erstarrt, manchmal sind sie ein schlammig-brauner, von Gebüsch durchsetzter Wasserspiegel. Die wenigen Häuser stehen geduckt in der Weite, die Bäume ragen ohne Blätter auf, Hunde laufen frei, einmal, in der ersten Szene, erhebt sich ein Schwarm von Vögeln und macht aus dem oberen Bilddrittel eine hektische, flatternde Fläche. Lol Crawleys Kamera ist nicht minder beweglich; sie wechselt agil zwischen der Weite der Totalen und der Klaustrophobie der Nahaufnahmen; die Dialoge werden nicht über Schuss-Gegenschuss-Folgen aufgelöst, vielmehr schwenkt die Kamera von Figur zu Figur. Drei-, viermal bewegt sie sich parallel zu einem Güterzug oder einem Moped, eine schnelle Fahrt durch dieses leere Land, das Trost nur für Augenblicke kennt. CRISTINA NORD

„Ballast“, Regie: Lance Hammer. Mit Michael J. Smith Sr., Jimmyron Ross, Tarra Riggs u. a. USA 2008, 96 Min.; Urania 16. 2., 15 und 21 Uhr; International 17. 2., 20 Uhr