Sei wie die anderen

Wenn es ums Kino geht, will die Queer Community das Gleiche wie alle anderen auch: Bei den Teddy Awards 2008 wurden am Donnerstagabend Dokumentationen und Doku-Fictions ausgezeichnet

VON JAN KEDVES

Es ist schon ein bisschen kompliziert mit diesem Wörtchen: „Queer“, darin stecken sämtliche sexuellen Orientierungen und Gender-Identitäten, die von dem, was der Mainstream für normal hält, abweichen. Weil anscheinend aber noch nicht jeder dieses Wort verinnerlicht hat, erklärt man seine Bedeutung gerne nochmal sogar denjenigen, die es eigentlich längst kennen sollten: „schwul, lesbisch, bisexuell und transidentisch“ (in dieser Reihenfolge stecken natürlich noch alte Hierarchien).

Wozu diese Ausführung? Als Björn Koll, Geschäftsführer der Edition Salzgeber, als Ausrichter des Teddy Awards am Donnerstagabend die Bühne des Hauses der Kulturen der Welt betrat, um die Verleihung des Berliner „Queer Film Award“ zu eröffnen, begrüßte er erst die Schwulen, dann die Lesben, und dann schob er – halb ironisch, halb gequält – noch hinterher: „Auf meinem Zettel steht, ich soll die Transidentischen nicht vergessen.“ Paradox eigentlich, dieses Abmoderieren – immerhin wurden beim diesjährigen Teddy vor allem Filme mit transidentischen Thematiken ausgezeichnet. Ansonsten bewies der Award in diesem Jahr aber vor allem eins: Obwohl queere Menschen in allen möglichen Dingen einen besonderen Geschmack pflegen – wenn es um Film geht, mögen sie zurzeit genau dasselbe wie alle anderen auch: Dokumentarfilme und Doku-Fictions.

Etwa „The Amazing Truth About Queen Raquela“, ein Film über die/den philippinische/n Ladyboy Raquela und ihren/seinen Traum, nach Europa zu reisen und in Pariser Boutiquen zu shoppen. Prämiert wurde der Film in der Kategorie „Spielfilm“, obwohl er eher Doku als Fiction ist. Die anderen siegreichen Dokumentationen: „Be Like Others“, ein Film über Schwule im Iran, die sich zu Frauen umoperieren lassen, um in nach außen hin „heterosexuellen“ Beziehungen leben zu können, sowie „Football Undercover“. Letzterer Film, er dokumentiert ein Freundschaftsspiel des Berliner Frauenfußballvereins BSV Al-Dersimspor gegen die iranische Frauennationalmannschaft in Teheran, bekam den Teddy irritierenderweise, obwohl in ihm an keiner Stelle ein eventuelles gleichgeschlechtliches Begehren der Protagonistinnen oder andere queere Sujets behandelt werden. Sind fußballspielende Frauen mittlerweile schon per se „queer“?

Vor allem musste man sich am Donnerstagabend jedoch dringend die Frage stellen, wohin der Trend zum Dokumentarfilm in der queeren Sparte noch führen wird. Sicher sind viele dieser Filme toll und schlagen auch viele Fliegen mit einer Klappe: Der Zuschauer genießt das Ungekünstelte, den Authentizismus, lernt die mittlerweile doch sehr komplex gewordene Welt genauer kennen – ihre Schattenseiten vor allem –, sitzt dabei aber entspannt im Kino und vergewissert sich, im Abgleich mit der eigenen Lebensrealität, wie sehr sich der Kampf gegen Diskriminierung im Westen gelohnt hat. Nur: Wird es dann bald auch noch eine Doku über den indianischen Crossdresser geben, der endlich als „Two-Spirit“ anerkannt werden möchte? Die Doku über lesbische Aborigines?

Vermutlich um dem Imperativ des Harte-Realität-Abbildens zwischendurch einige Augenblicke zu entkommen, bestand das Showprogramm der Teddy-Gala aus Einlagen, die ihr Artifiziell- und Gekünsteltsein betonten: Die Caesar Twins, zwei blondierte Sportathleten aus Polen, verquickten die zuletzt von Dita von Teese popularisierte burleske Martiniglas-Nummer mit Akrobatikeinlagen und schlüpfriger Inzest-Erotik, der brasilianische Klaus-Nomi-Impersonator Edson Cordeiro sang mit klirrendem Countertenor und weit ausgestreckten Armen Purcell. Zum Kunst-Teil des Abends gehörte ebenfalls die Verleihung des „Special Teddy“ an die Macher des Films „Derek“, eine Hommage an Derek Jarman. Tilda Swinton, Jarmans frühere Muse (sie hat das Skript zum Film verfasst), nahm den Preis im knallpinken Vorhangkleid entgegen und sprach auch ein paar freundliche Worte. Die Erinnerung an Derek Jarman wach zu halten, dies ist indes natürlich – auch wenn es bei der Trophäenübergabe nicht gesagt wurde – besonders ein Anliegen des Teddy-Veranstalters Salzgeber selbst, immerhin führt er viele von Jarmans Filmen in seinem Programm. Bevor jemand gegen diese möglicherweise nicht ganz lautere Promotion-Maßnahme protestieren konnte, wurde die Gala jedoch rasch und schwungvoll beendet. „Sie waren ein tolles Publikum, ob lesbisch, schwul oder bi!“, schrillte Arte-Moderatorin Annette Gerlach in die vollen Reihen. Und schwups! – waren die Transidentischen da schon wieder vergessen.