Hysterische Leitkulturdebatten

betr.: „Türkische Schule in Deutschland?“ „‚Deutsch ist die Basis‘“, „Fast alle gegen Erdogan“, „Mit zweierlei Maß“, taz vom 13. 2. 08

Eines hat die Rede von Ministerpräsident Erdogan gezeigt: Die Nationalisten auf beiden Seiten haben weder ein Interesse an Integration noch an den Migranten. Sie wollen mit solchen Debatten einen Keil zwischen die Deutschen und die Migranten treiben. So werden die spärlichen Bemühungen der letzten Jahre zunichte gemacht.

Wenn Erdogan mit seiner Forderung nach türkischen Eliteschulen den Interessen einer reichen Minderheit Gehör verschaffen will, dann wird das den Kindern von Millionen sozial schwacher nicht weiterhelfen. Sie können sich weder diese Schulen leisten, noch haben sie die Fähigkeit, ihre Kinder zu fördern, was bei solchen Schulen notwendig wäre. Diese Debatte unterscheidet sich kaum von der Leitkultur-Debatte, die immer wieder von Teilen der Union, besonders vor Wahlen, initiiert wird. Die Migrantenkinder brauchen keine Leitkulturdebatte, sondern Folgendes:– eine bessere Sprachförderung im Vorschulalter, damit sie die gleichen Chancen haben wie ihre deutschen Schulkameraden– die Berücksichtigung des Migrantenanteils bei der Größe der Schulklassen. Klassen mit mehr als 30 Kindern, in denen mehr als 60 Prozent der Kinder Migrationshintergrund haben, führen nicht zum Ziel.– zusätzliche Förderung bei der Hausaufgabenbetreuung und Nachhilfe, weil oft von den Eltern diesbezüglich keine Hilfe zu erwarten ist.– Anpassung des Lehrplans an die multikulturelle Realität in unserem Land. Mehr Miteinander als Nebeneinander, aber auch die Berücksichtigung der kulturellen Unterschiede. Hier kommt es auf das Fingerspitzengefühl an!– die Förderung der Muttersprache und Religion als Unterrichtsfach. Wer die eigene Muttersprache beherrscht, kann auch leichter eine Fremdsprache lernen. Ziel muss es sein, dass Deutsch für Migrantenkinder keine Fremdsprache bleibt, sondern sich zu deren Muttersprache entwickelt. Nur dann haben diese Kinder in unserem Land eine Zukunft.

Wenn die Politik es mit der Integration ernst meint, dann muss sie dafür sorgen, dass alle Migrantenkinder von Anfang an so befähigt werden, dass sie die gleichen Chancen haben. Dies wird sich an dem Anteil der Migrantenkinder in Realschulen und Gymnasien zeigen. Solange dieser Anteil gering ist, wird die Integration eine Illusion bleiben.

Also lassen wir die hysterischen Leitkulturdebatten und konzentrieren uns lieber darauf, dass die seit Jahrzehnten verpassten Chancen sich bei den heutigen Kindern nicht wiederholen.

EKREM AKTAS, Taufkirchen b. München

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