Tief im Geschlechterkampf verstrickt

Noch ein Einzelgänger: Mit dem Schweizer Maler Félix Vallotton zeigt die Hamburger Kunsthalle einen weiteren bisher unterschätzten Künstler der Jahrhundertwende. Der entzieht sich mit Verweisen auf die altdeutsche Malerei und karikierenden Einsprengseln den kunstgeschichtlichen Schubladen

Ehebruch ist oft das Thema und in Verkehrung der wirklichen Verhältnisse scheint immer die Frau Schuld zu haben

VON HAJO SCHIFF

So wie sie gehängt ist, thematisiert die Ausstellung auch den voyeuristischen Blick: Da sind die Stillleben mit Schinken und anderem Fleisch Seite an Seite mit den Akten zu sehen. Die „Gesäßstudie“ von 1884 war vor hundert Jahren bei der ersten Einzelausstellung von Félix Vallotton einer der Gründe, warum die Schau in Zürich damals für Jugendliche verboten war.

Nach Vilhelm Hammershoi und Helene Schjerfbeck zeigt die Hamburger Kunsthalle wieder einen künstlerischen Sonderling, der jenseits seiner Heimat zu Unrecht kaum bekannt ist. Der in Paris lebende Schweizer Félix Vallotton (1865–1925) war ein Eigenbrötler und ist trotz seiner Teilhabe an der Künstlergruppe der Nabis – einer rebellischen Gruppe junger Kunststudenten im Paris um 1888 – mit den üblichen Kriterien der Kunstgeschichte der Moderne schwer zu fassen. Zu eindeutig sind seine Bezüge auf die altdeutsche Malerei und die Niederländer, zu konsequent die Ablehnung aller impressionistischen und postimpressionistischen Tendenzen, zu eigenständig seine Malweise und zu sarkastisch seine oft karikierenden Charakterisierungen.

International bekannt war Vallotton allerdings schon vor 1900. Aber nur als Graphiker. Seine mit harten Schwarz-Weiß-Kontrasten arbeitenden Holzschnitte waren ein Muss in den zahlreichen Kunstzeitungen des Jugendstils und ein Vorbild für die deutschen Expressionisten. Der Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe schrieb 1898 eine Monographie über den Künstler, in der es heißt: „Vallotton hat aus dem Holzschnitt so viel gemacht, dass er getrost auf den Ehrgeiz verzichten könnte, auch als Maler zu zählen“.

Da das die Rezeption bis heute beeinflusst, wurde in Hamburg zu der vor allem aus dem Kunsthaus Zürich übernommenen Ausstellung der Malerei eine Graphikauswahl hinzugefügt und dieser Text im Hamburger Supplement-Band des Kataloges erstmals wieder komplett abgedruckt.

In den Nebenkabinetten des Hubertus-Wald-Forums sind manche Preziosen zu finden, so eine dem Japonismus geschuldete totale Reduktion eines Meerbildes auf nur einige helle Wellenstriche und einen schwarzen Sonnenkreis oder ein Blatt auf dem Caesar, Sokrates, Jesus und Nero als üble Verbrechervisagen porträtiert sind oder die politischen Blätter gegen Polizeiwillkür oder die düsteren Umsetzungen unglücklicher Paarbeziehungen. Tatsächlich hat Vallotton nur etwa 350 Papierarbeiten realisiert, aber immerhin 1.700 Gemälde.

Und einige davon wirken bis heute hoch modern und verstörend. Noch der Hamburger Malerstar Daniel Richter bezeichnet Vallotton „als das Idol meiner schlaflosen Nächte“ – ein kleiner Akt in der Ausstellung stammt aus seiner Sammlung.

Wenn am Eingang zur Ausstellung die Untersicht einer Theaterloge hängt – viel mehr als der große Hut einer Dame und der kleine Kopf eines Herrn ist hinter der goldgelben Brüstung nicht zu sehen – dann führt das mitten in die Hauptthemen des Schweizers: Da ist zum einen die distanzierte, aber genaue Beobachtung der Pariser Gesellschaft durch einen Maler, der auch acht Theaterstücke geschrieben hat, und da ist zum anderen die immer wieder formulierte, als bedrohlich empfundene Dominanz der Frau. In Vallottons präzise wie Bühnenbilder gestalteten Interieur-Bildern ist die Welt zwischen den Geschlechtern in Aufruhr, nicht immer so drastisch wie bei der „Die Lüge“ betitelten innigen Umarmung, die in blutroter Bordellfarbe fast untergeht. Ehebruch ist oft das Thema und in Verkehrung der wirklichen Verhältnisse scheint immer die Frau Schuld zu haben.

1899 verließ Vallotton seine langjährige Geliebte und heiratete eine reiche Witwe. So wurde er Teil der Bourgeoisie, die er so oft vehement karikiert hatte. Glücklich ist er dabei nicht geworden. Ein auf Dürers Adam und Eva zurückgehendes Motiv zeigt Mann und Frau nackt, verkrampft und ohne jeden Kontakt. Und das Bild „Der geschundene Orpheus“, auf dem vier hexenähnliche Frauen den Sänger quälen und entmannen, ist ein fast nur noch mit freudschen Kategorien erklärbarer Albtraum.

Aber Vallotton ist ein zu guter Beobachter, als dass er nicht gerade in seiner Frustration die neue Rolle der Frau gut verstanden hätte. In einer großformatigen Paraphrase des Mythos von Perseus und Andromeda schaut die angeblich zu befreiende Frau gelangweilt bis genervt auf das heldenhafte Gehabe des nackten Heros, der sich statt mit einem Drachen mit einem müden Krokodil abmüht.

Und ist im Bild „Vom Meer zurück“ der leuchtend wasserblaue Blick, mit dem die blau gekleidete Frau am blauen Tisch vor blauer Tapete den Betrachter geradezu hypnotisierend anblickt, nicht der einer emanzipierten Frau von heute? Oder doch eine moderne Darstellung einer verführerischen Sirene? Ganz und gar lässt sich der Mythos vielleicht doch nicht verleugnen.

Félix Vallotton. „Idylle am Abgrund“. Hubertus-Wald-Forum, Hamburger Kunsthalle. Bis 18. Mai