tim wiese, plötzlicher publikumsliebling
: Akute Adrenalin-Vergiftung
Gegen Nürnberg spielte Tim Wiese natürlich zu Null. Auch wenn diese 90 nahezu beschäftigungslosen Minuten als Bewerbungsvideo für Andi Köpke unbrauchbar sind, fügen sie sich wunderbar in eine Woche, wie sie der 26-Jährige im Bremer Trikot bisher noch nicht erleben durfte. Erst parierte er einen Strafstoß gegen Weltmeister Toni. Und spätestens nach der Doppelweltklasse-Elfmetertötung gegen Braga wollten ihn die Bremer Fans kollektiv ins deutsche Tor skandieren.
Wiese für Deutschland. Wer hätte das gedacht. Denn bisher war Wiese mit Brilli-Ohrring, Gelpeitsche und rosa Trikot für den Bremer Anhang wie ungeliebte Verwandtschaft, die man erträgt, weil sie ab und an Geschenke vorbei bringt. Die Fans haben ihm nie verziehen, dass er die Bremer durch seinen Vorwärtssalto mit Schwächeanfall gegen Juventus Turin aus der Champions League kugelte. Seitdem war allen klar: Wiese ist ein Spektakel-Fänger, der lieber für die Galerie fliegt, als mit einer soliden Faustabwehr zu klären.
Er stammt eben aus der Torwart-Schmiede Gerry Ehrmanns, dessen Zöglingen nachgesagt wird, dass sie mehr Zeit im Kraft- als im Strafraum verbringen. Doch nun scheint für Wiese eine neue Zeitrechnung begonnen zu haben: In seinem dritten Jahr an der Weser könnte er zumindest in Bremen endlich ankommen. Ins deutsche Tor wird er es indes nicht schaffen. Denn nach Braga wurde das ohnehin unangenehm aufgepumpte Ego des Ehrmann-Jüngers noch einmal bedenklich aufgebläht. Wiese war ja schon vorher davon überzeugt, der beste Ballfänger der Republik zu sein. Nur leider steht Joachim Löw nicht auf Maulhelden. Dabei bräuchte sich der Bundestrainer nur eine Szene aus dem Spiel gegen Braga anschauen, um zu verstehen, warum nur Wiese die neue Nummer 1 im deutschen Tor sein kann: Nach dem zweiten gehaltenen Elfer schien sich Wiese eine akute Adrenalin-Vergiftung zugezogen zu haben, so kahnisch stierte er durch seinen Strafraum. Da dachte man: Titan. Wiese für Deutschland eben.LUCAS VOGELSANG
