„Irgendwann muss man sich öffnen“

Der Mathematiker Ludwig Mehlhorn hat die Ausstellung zum Widerstand im 20. Jahrhundert konzipiert, die jetzt in Lübeck zu sehen ist. Ein Gespräch über seine Erfahrungen in der DDR-Opposition, die Vergleichbarkeit von kommunistischem und NS-Regime und das allgemein Gültige des Widerstands

LUDWIG MEHLHORN, 58, Mathematiker, seit 1976 Mitwirkung in verschiedenen Arbeitszusammenhängen der DDR-Opposition, 1985 politisches Berufsverbot, Hilfspfleger in einer diakonischen Einrichtung. Mitbegründer der Bürgerbewegung „Demokratie jetzt“ und beteiligt an der Gründung der Stiftung Kreisau. Seit 1992 Studienleiter Ostmitteleuropa der Evangelischen Akademie Berlin.

INTERVIEW FRIEDERIKE GRÄFF

taz: Herr Mehlhorn, gibt es etwas, was die Menschen im Widerstand, die Sie in der Ausstellung vorstellen, verbindet?

Ludwig Mehlhorn: Das war unsere Ausgangsfrage. Wir wollten nicht nur den Kreisauer Kreis darstellen, sondern auch Widerstand aus Polen. Wir sind ja mit Kreisau an einen Ort zurückgekehrt, der zwar mit dem deutschen Widerstand verbunden ist, aber heute in Polen liegt. Es gab damals einen Streit über diese Frage und es gab eine starke Position, die die polnische Untergrundbewegung gegen die deutsche Besatzung, die Landesarmee und den Warschauer Aufstand als Entsprechung zum Kreisauer Kreis zeigen wollte. Für eine andere Gruppe war der Widerstand auf dieser Ebene nicht vergleichbar.

Das war vermutlich die deutsche Position.

Nein, diese Debatte verlief nicht entlang der nationalen Zugehörigkeit. Eine große Rolle spielten Generationserfahrungen und politische Präferenzen. Ich denke, dass der Widerstand gegen ein eigenes Regime etwas anderes ist als der Widerstand gegen eine fremde Besatzungsmacht. Die Polen sind durch Krieg unter die Nazis gekommen, es gab einen ganz natürlichen gesellschaftlichen Konsens, dass man diese Unterjochung und Freiheitsberaubung nicht tatenlos hinnehmen durfte. Während sich in Deutschland, nachdem das NS-Regime einmal installiert war, die verschiedenen Gruppen und Einzelpersonen dazu durchringen mussten, gegen den eigenen Staat zu handeln. Das war für viele, zumal im Krieg, eine Gewissensfrage.

Was folgte für Sie daraus?

In Bezug auf Motive und Handlungsoptionen war eine Vergleichbarkeit eher zu erreichen, wenn man sich Widerstand und Opposition im Kommunismus ansah. Denn das war ein System, das in Ostmitteleuropa zwar auch zu einem gewissen Grad von außen aufgezwungen war, aber doch nicht ausschließlich als sowjetische Besatzung funktionierte. Es gab auch polnische, tschechische, ungarische Kommunisten, die es mitgetragen haben.

Stellt sich nicht dennoch die Frage der Vergleichbarkeit dieser beiden Unrechtsregime?

Ja, ein Systemvergleich wurde uns vorgeworfen. Aber damit konnten wir gelassen umgehen. Es ist völlig legitim, Unrechtsregime zu vergleichen. Neben vielen Gemeinsamkeiten liegen die Unterschiede ja auf der Hand – es ist doch klar, dass das nationalsozialistische Regime ein anderes System war als der sowjetische Kommunismus der 30er Jahre oder der polnische der 70er Jahre. Dennoch, obwohl er politisch und methodisch zulässig ist, machen wir in der Ausstellung gar keinen Systemvergleich. Wir zeigen lediglich die geistige Verwandtschaft von Menschen und Gruppen, die nicht den Weg der angepassten Mehrheit gegangen sind – die sich entschlossen, gegen den Strom zu schwimmen, die Unrecht nicht hinnahmen, dafür Risiken eingingen und zu Opfern bereit waren.

Wenn es bei den unterschiedlichen Standpunkten um Generationenzugehörigkeit ging – wo verlief da die Trennlinie?

In den 90er Jahren, als wir das Konzept diskutierten, wirkten noch die ideologische Trennlinien aus der Zeit des Kalten Krieges. Es gab auch in Westdeutschland Menschen und Milieus, die den Zusammenbruch des Kommunismus eher als Enttäuschung ihrer auf den Sozialismus gerichteten Zukunftshoffnungen erlebt hatten – und nicht als Befreiung von einer totalitären Diktatur.

Da waren Sie als jemand, der aufgrund seiner Weigerung, mit der Stasi zusammenzuarbeiten, Berufsverbot erhalten hatte, ja der richtige Ansprechpartner.

Ich komme aus der DDR-Opposition, daraus muss ich kein Hehl machen. Kreisau war ab 1988 eines unserer Projekte. Wir mussten uns in den 90er Jahren eben auch mit denjenigen aus Westdeutschland auseinander setzen, die in Kreisau ihre Hoffnung auf den Kommunismus in ganz Europa am liebsten weitergeführt hätten.

Sind Sie zu einem Kompromiss gekommen?

Über das Konzept zur Ausgestaltung Kreisaus als generelle Gedenkstätte für Widerstand und Opposition ist in den Gremien der Stiftung Kreisau debattiert und entschieden worden. Und dort hat sich letztendlich unseres durchgesetzt.

Ein Ziel der Ausstellung soll es sein, die Multiperspektivität von Geschichte zu zeigen – die sich ja schon in Ihren Konzeptionsdebatten gespiegelt hat. Inwiefern ist das auch in der Ausstellung angekommen?

Wir wollten der Geschichtsschreibung, die überall immer noch im nationalen Narrativ passiert, einen europäischen oder universalen Blick entgegensetzen. Das geht aber nicht so einfach, man kann aus diesen nationalen Traditionen nicht einfach herausspringen, selbst wenn man das möchte. Aber man muss diese nationalen Narrative zumindest nach außen zu den anderen hin verständlich machen. Der längste Teil der Gespräche mit meiner Co-Autorin aus Warschau kreiste genau um diesen Punkt. Nach Kreisau sollten Besucher aus Deutschland, Polen und vielen anderen europäischen Ländern kommen und wir wollten etwas ausstellen, was über die nationalen Grenzen hinaus von Bedeutung ist.

In Kreisau, einem Dorf in Niederschlesien, traf sich 1942 und 1943 der später so genannte Kreisauer Kreis auf dem Gut der Familie von Moltke. In drei geheimen Treffen diskutierten rund 20 Menschen eine mögliche Neuordnung Deutschlands ohne Hitler. Besonders an dieser Gruppierung war die bewusste Mischung politischer und sozialer Richtungen, so dass hier Sozialdemokraten, Konservative, Reformer der katholischen und evangelischen Kirche gemeinsam versuchten, eine neue staatliche Grundlage zu entwickeln. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler wurden zahlreiche Kreisauer hingerichtet, unter anderem Helmuth James von Moltke, dem keine Beteiligung am Attentat nachgewiesen werden konnte, so dass er allein für das Nachdenken über die Zukunft nach einem Sturz Hitlers hingerichtet wurde. 1989/90 entstand die Stiftung Kreisau für europäische Verständigung, die die Erinnerung an den Kreisauer Kreis wachhalten möchte. GRÄ

Was ist dieses allgemein Gültige des Widerstands?

Wenn ich junge Leute durch die Ausstellung führe, kann ich ihnen anhand dieser Geschichte gut erklären, dass sie einmal herausgehen sollen aus ihren Cliquen und Fanklubs und nicht immer nur unter ihresgleichen bleiben. Irgendwann muss man sich öffnen. Das ist im Kreisauer Kreis, natürlich auf einer reifen politischen Ebene des Erwachsenseins und nicht des Erwachsenwerdens, exemplarisch vorgelebt. Aber das ist auch einer der Gründe dafür, dass die Kreisauer in Deutschland nicht den Rang haben wie etwa der Kreis des 20. Juli. Die Kreisauer können von keiner einzelnen Partei, Kirche oder Schicht vereinnahmt werden, weil sie so gemischt waren. Das war unter den Konventionen der damaligen Zeit einmalig.

Wie sah diese Mischung aus?

Es waren protestantische, schlesische Grundbesitzer wie Moltke und York, dazu kamen die Jesuiten aus München, am Tisch saßen aber auch Sozialdemokraten, die in der Weimarer Republik noch als vaterlandslose Gesellen gebrandmarkt worden waren. Es waren Milieus, die damals wie Feuer und Wasser waren, die aber unter dem Druck, handeln zu müssen, über ihren Schatten sprangen und einen Weg zueinander fanden. Diese Art, runde Tische zu bauen, braucht jede Gesellschaft.

Sie sprachen über die Ungleichheit in der Erinnerung an die unterschiedlichen Widerstandsgruppen. Als Mitbegründer der Wendebewegung „Demokratie jetzt“, über die kaum noch gesprochen wird, haben Sie, wenn auch in einer anderen Situation, ähnliche Erfahrungen gemacht.

Das ist immer so. Selbst innerhalb des Kreisauer Kreises. Wir wissen sehr viel über Helmuth James von Moltke, aber über Peter Yorck, der genauso wichtig für den Kreisauer Kreis war, wissen wir fast nichts. Das liegt einfach daran, dass sein Nachlass verbrannt ist und er keinen Korpus von Briefen hinterlassen hat, der auf 600 Seiten dokumentiert werden kann.

„In der Wahrheit leben – Aus der Geschichte von Widerstand und Opposition im 20.Jahrhundert“, bis 23. März, Kulturforum Burgkloster, Lübeck