Damit sich der ganze Geschmack entfalten kann

Natalie Tenbergs Gastro- und Gesellschaftskritik: Das ukrainisch-russische Café Voland in Prenzlauer Berg ist nicht schön, aber authentisch

Es gibt nicht viele Läden, in die sich ein Mensch mit einem gewissen Anspruch gerne setzt, wenn ein Poirot an der Wand hängt und weint. Ein Hirschgeweih finden wir ja inzwischen in jedem Szene-Restaurant, das Schnitzel oder anderes deftiges Zeug auf der Karte führt, und wer hätte das denn vor zehn Jahren gedacht? Dem weißen traurigen Clown aber bleibt dieser Sprung ins Retro-Eck noch verwehrt. Der Poirot vegetiert, von längst gealterter Kinderhand gezeichnet, in staubigen Poesiealben, in noch staubigeren Kisten, auf Speichern oder Kellern.

Im ukrainisch-russischen Café Voland in Prenzlauer Berg aber hängen Poirot und sonstige Nippes wie selbstverständlich an der orange gestrichenen Wand, auf dem Boden liegen dicke Perserteppiche. Zum Eingang kommt man kaum rein, weil eine große Theke im Eingang steht. Nein, hübsch ist es nicht gerade. Das Lokal dünstet zudem noch den kalten Rauch vieler Jahre aus, selbst das schummerige Licht kann dem Laden nicht schmeicheln. Der ganze Eindruck der Abnutzung aber, der vielen anderen Lokalen schadet, stört im Voland kaum. Er ist Ausdruck des regen Lebens, das unbeeindruckt von Attitüden und Einstellungen jenseits des S-Bahnhofs Schönhauser Allee stattfindet. Kühle Eleganz findet man in Prenzlauer Berg weiter südlich, das Voland möchte und muss nicht beeindrucken.

Das merkt man schon dem Service an. Der Gast wird nicht geduzt, und man macht sich auch nicht mit ihm gemein. An Herzlichkeit fehlt es dennoch nicht, sie wird nur hinter Anweisungen versteckt. So wird man darauf aufmerksam gemacht, dass man die Pelmeni keinesfalls mit dem Messer zerschneiden, sondern sich die großen Taschen in Gänze mit dem Löffel in den Mund schieben soll. Damit sich der ganze Geschmack auf einmal entfaltet. Es lohnt sich. Obwohl der kleine Magen schon nach dem Salad Stolitchny (Pellkartoffel, Surimi, Eier, Gurken, Erbsen und vor allem Mayonnaise) recht gefüllt erscheint, mag man nicht verzichten auf die flutschigen Pelmeni mit Fleischfüllung (welches Fleisch, bleibt offen) in Tomatensauce und saurer Sahne. Zwar enttäuscht die Borschtsch-Ukrainy-Suppe den kundigen Gaumen, am Hefepfannkuchen mit Rosinenquarkfüllung findet sogar der begleitende Ostblockküchenexperte Gefallen.

Das Café Voland hat sich mit seiner authentischen Küche und den vielen kulturellen Veranstaltungen die Nische als Heimat für Interessierte an der russischen Kultur erarbeitet. Poirot hin oder her, ins Voland kann man guten Gewissens gehen.

CAFÉ VOLAND, Wichertstraße 63, 10439 Berlin, (0 30) 4 44 04 42, www.voland-cafe.de, tgl. ab 18 Uhr, jeden Fr. und Sa. ab 21 Uhr Live Music, Eintritt 3 €, Do. russisches Buffet, S-Bahn Schönhauser Allee