Offen bis zum Abwinken

Die Stasi- und Mauer-Verharmloserin Christel Wegner von der DKP zog über die offene Liste der Linkspartei in den niedersächsischen Landtag ein. Doch wozu braucht es überhaupt offene Listen?

In Deutschland eingeführt haben die Grünen die offenen Listen: Sie erlauben einer Partei, Nichtmitglieder zur Wahl vorzuschlagen. Die PDS nutzte sie seit 1990, um in Westdeutschland Fuß zu fassen. Gelungen ist das erst durch die WASG-PDS-Liste für die Bundestagswahl 2005, die der Gründung der gemeinsamen Partei Die Linke vorausging. Momentan verursacht die Frage offenen Streit: Auf die Ankündigung des niedersächsischen Linke-Chefs Dieter Dehm, für DKP-Mitglieder offen zu bleiben, schlug Parteivorstand Bodo Ramelow Dehm vor, „die Klappe halten“. Auch in Hamburg und Bayern tritt Die Linke mit DKPisten auf offenen Listen an. BES

pro

Die Zeit der Sektiererei ist vorbei. Lange waren die zahlreichen Grüppchen der Linken ein versprengter, mit den ideologischen Abgrenzungen untereinander beschäftigter Haufen. Heute zeigt sich die linke Wahlbewegung vielerorts durch offene Listen vereint und damit handlungsfähiger.

Das Prinzip ist klar: Linke, die seit Jahren in diversen Initiativen vor Ort aktiv sind, können so trotz ideologischer Differenzen gemeinsam agieren. Es gilt, die traditionelle Spaltung der Linken zu überwinden und erfolglose Gegenkandidaturen linker Kleinstparteien zu vermeiden. Pluralismus und ideologische Heterogenität werden dabei als Chance verstanden. Ein Prinzip, das wesentlich dazu beigetragen hat, dass nun eine gesamtdeutsche, schlagkräftige Partei links von der SPD entstanden ist.

Dabei gilt die Regel, Kandidaten linker Kleinparteien nur dann auf den offenen Listen zu platzieren, wenn sie und ihre politischen Positionen aus der gemeinsamen Arbeit im außerparlamentarischen Bereich bekannt und damit berechenbar sind. Sie müssen mit den Wahlprogrammen der Listenverbindungen in Einklang stehen. Das gilt in Hamburg und hat in Niedersachsen offenbar nicht funktioniert, wie Wegners verbale Entgleisungen zeigen.

Die politische Debatte, die um die Präsenz von DKP-Mitgliedern auf den Listen der Linken durch das Land läuft, ist aber ohne einen kräftigen Schuss Antikommunismus nicht erklärbar. Ein Antikommunismus, der seit der Zeit des Kalten Krieges existiert und durch die Unrechtstaten des realsozialistischen deutschen Staates neue Nahrung bekommen hat. Da gilt schon als Verfassungsfeind, wer thematisiert, ob die soziale und die ökologische Frage innerhalb eines von Rendite-Erwägungen beherrschten und von der Politik immer weniger steuerbaren Wirtschaftssystems lösbar ist. So stirbt nicht nur ein Stück Meinungsfreiheit sondern auch die Fähigkeit, über die Grenzen des Tellerrandes hinauszublicken.

Die gegenwärtige Debatte verweist auf die Schwächen offener Listen, deren Vorteile für die Linke aber überwiegen. Vor allem verweist sie auf eine politische Kultur, in der für viele das Wort „Kommunist“ ein größeres Schimpfwort ist als „Neonazi“. MARCO CARINI

contra

Offenheit ist gut. Freiheit – noch viel besser. Zuverlässigkeit dagegen – wie spießig! Und das Wort Partei ist erst recht in Verruf geraten. Das färbt natürlich ab auf die zuverlässige Partei-Liste. Nein, eine offene Liste, das klingt echt viel, viel besser. Sofern Partei- und Fraktionsarbeit inhaltliche Ziele verfolgen, kann sie aber nur schaden.

In der Frühphase der PDS war das anders. Da hatte die offene Liste erlaubt, Persönlichkeiten aufzustellen. Menschen, die selbst ein Wahlargument waren – wie Stefan Heym, das Gesicht eines demokratisch-humanen Sozialismus. Dagegen Christel Wegner …! Wann gibt die NDR extra3-Redaktion endlich zu, dass sie die Dame als Inoffizielle Mitarbeiterin beschäftigt?

Gab es sachliche Gründe, diese Figur auf die Liste von Die Linke zu heben? Und wen soll das Charisma Heike Sudmanns (parteilos) oder der Name Olaf Harms in Hamburg mobilisieren? Harms! Der ist DKP! Die war in Hamburg zuletzt 1991 schlagkräftig genug, um zur Bürgerschaftswahl anzutreten. Ergebnis: 0,1 Prozent.

Das Parteiprogramm ist ein Politik-Angebot. Die Parteizugehörigkeit signalisiert die Bereitschaft, sich mit ihm zu identifizieren. Abweichungen? Da ist man heute doch viel entspannter. Nur die DKP hat weiterhin immer Recht.

Wofür die nicht-der-Partei-für-die-sie-antreten-zugehörigen KandidatInnen stehen, weiß niemand. Außer – hoffentlich! – sie selbst. Die Hannoversche Praxis, mit dem Prinzip der freien Liste eingekaufte Blindschützen auszusondern, sobald sie loslegen, zeigt: Mit der proklamierten Offenheit war es so ernst nie gemeint. Sie reduziert die Fraktionsstärke – verfälscht also das Wahlergebnis. Das andere Extrem lässt sich in der Bremer Bürgerschaft beobachten: Da sitzt Monique Troedel der Fraktion vor. Stets hatte sie betont „parteilos aber parteilich“ zu sein. Ihr Eintritt im Herbst hat ihr keine Lobby bei der Basis verschafft, und auch ihre Glaubwürdigkeit nicht gemehrt. In einer „Zwischenbilanz“ attestierte der Parteienforscher Lothar Probst der von Troedel geführten Körperschaft, sie vermittle bislang „einen desolaten, politikunfähigen Eindruck“. Auch das war so sicher nicht gewollt.

BENNO SCHIRRMEISTER