Im Wein-Dschungel

Die Welt der Bioweine ist unübersichtlich und reich an Widersprüchen. Doch auch jenseits einer in Teilen oberflächlichen Bio-Euphorie gibt es gute Zukunftschancen: Guter Geschmack ist nachhaltig

VON TILL EHRLICH

Wein ist momentan „in“, auch Bioweine sind Mode und weltweit expandiert der Bioweinbau. Es erscheint daher logisch, dass die „Biofach“ den Genuss und Mehrwert ökologisch erzeugter Weine in den Vordergrund stellt, in diesem Jahr sollen sie Messeschwerpunkt sein. Mehr als 300 Weinaussteller aus 13 Ländern haben Stände gebucht. Ein kleiner Wein-Rekord für die größte Biofachmesse der Welt. Bekanntlich ist auch der Bioweinmarkt gespalten, in Massenproduzenten und handwerkliche Kleinerzeuger. Letztere setzen zunehmend auf biodynamischen Weinbau – gemäß der anthroposophischen Lehre Rudolf Steiners.

Auch preiswerte Bioweine sind zunehmend gefragt

Erzeuger von Spitzenweinen, denen man nun wirklich nicht unterstellen kann, weltferne Esoteriker zu sein, erhoffen sich für ihre Weine im High-End-Bereich einen zusätzlichen Imageeffekt. Weine aus biodynamischem Anbei werden neuerdings auch „Biodyns“ genannt. Zugleich wachsen die Bioweinanbieter im Segment unter 10 Euro, was offenbar auch einer wachsenden Nachfrage entspricht, die zunehmend nach preiswerten Bioweinen fragt.

Die dschungelartige Weinbranche tickt etwas anders als viele agrikulturelle Bereiche. In der Weinwelt gibt es (noch) nicht das starke Qualitätsgefälle zwischen konventionell und Bio wie etwa bei Fleisch, Wurst oder Brot. Anders als das Back- oder Fleischerhandwerk hat der konventionelle Weinbau – besonders im mittleren und gehobenen Segment des Marktes – bislang noch nicht vollkommen sein traditionelles Produkt aufgegeben, was sich von konventionellem, mit industriellen Backzusätzen hergestelltem Brot oder auch von Fleisch aus der Massentierhaltung nicht sagen lässt.

Auch in der Weinbranche gibt es eine unübersehbare Transformation hin zur Standardisierung und Vermassung des Endproduktes. Es geht um viel Geld, die Umsätze steigen, mehr als 90 Milliarden Euro weltweiter Umsatz werden von der Branche für das Jahr 2010 prognostiziert. Wein ist dabei, ein Massenprodukt zu werden, das paradoxerweise oft als Naturprodukt vermarktet wird. Wein hat ein besseres Image als Bier oder Spirituosen, wo die Umsätze seit Jahren rückläufig sind, während sie beim Wein steigen. Und hier kommen die ökologisch erzeugten Weine ins Spiel, weil sie dem Verbraucher das Gefühl eines Mehrwertes bieten und dabei auf alternative und umweltschonende Herstellungsmethoden verweisen können. Synthetischer Wein, der wie Coca-Cola erzeugt wird, mag den Geschmack vieler treffen, dennoch ist das kein Wein mehr, sondern ein Getränk, das gleichförmig nach Standards produziert wird.

Trotzdem gibt es weder einen speziellen Bioweingeschmack noch eine „Garantie“ guten Geschmacks. Wenn es um Geschmack geht, befinden sich Weine aus ökologischem Anbau mit vielen konventionell erzeugten Weinen auf Augenhöhe. Auch die Schadstoffargumentation greift kaum. Eine Flasche Wein aus konventioneller Herstellung enthält wohl nicht mehr Schadstoffe als eine aus ökologischem Anbau. Und wenn: Schadstoffarmut allein reicht nicht für einen Wein. Eine Stärke der Bioweine besteht viel mehr darin, dass ihre Trauben umweltschonender angebaut werden, was jedoch durch die Ökobilanz relativiert wird, wenn man sich allein auf den billigen Preis und das Bio-Label kapriziert. Ein süffiger, vermeintlich preiswerter chilenischer Biowein, der aus dem Central Valley in den Berliner Biosupermarkt gereist ist, wirft Fragen auf. Das Biowein-Siegel allein schützt nicht vor dem Massenprodukt, das ähnliche Probleme mit sich zieht wie im konventionellen Bereich.

Eine wirklich wertbildende Stärke der Bioweine ist, das sie traditionell hergestellt werden können und so garantieren, dass sich lebendiger Wein in der Flasche befindet statt eines x-beliebigen Getränkes à la Coca-Cola. Weinkultur bedeutet auch, dass der Mensch nicht die ganze Weinwerdung dominiert, sondern der Natur so viel Spielraum gibt, dass sich lebendiger Geschmack bilden kann. Die Zukunft wird zeigen, ob der ökologisch orientierte Weinbau selbst zu einer Methode erstarrt oder ob die Winzer weiterhin mit der Natur in Dialog bleiben.

Der ökologische Weinbau hat sein Potenzial noch nicht ausgeschöpft. Ein Problem beim Anbau der Trauben bleibt, dass es ohne Pflanzenschutz nicht geht, weil alle klassischen Rebsorten nicht pilzresistent sind. Echter und Falscher Mehltau sind eine reale und permanente Bedrohung für jede Ernte. Auch ökologischer Weinbau kann daher nicht auf umweltbelastende Pflanzenschutzmittel wie Kupfer verzichten. Doch es gibt Alternativen. Eine bislang kaum genutzte Ressource sind neue pilzwiderstandsfähige Rebsorten – Piwis genannt. Sie sind robust gezüchtet, erfordern wenig bis keinen Pflanzenschutz und ermöglichen eine wesentlich umweltfreundlichere Bewirtschaftung des Ökosystems Weinberg. Doch die Neuzüchtungen sind in der Öffentlichkeit und bei Verbrauchern noch nahezu unbekannt. Zudem tragen sie oft unsinnliche, seltsame Sortennamen wie „Solaris“, „Villaris“ oder „Regent“.

Ein Pionier dieser Szene ist der Schweizer Rebzüchter Valentin Blattner, der gerade mit einer gelungenen pilzresistenten Neuzüchtung namens „Cabernet Jura“ ein Hoffnungsträger ist. Doch bis solche Sorten in relevanten Mengen angebaut und in einem Atemzug mit Klassikern wie Chardonnay, Riesling oder Merlot genannt werden, wird wohl noch viel Überzeugungsarbeit nötig sein. Piwis werden von Experten als Chance gesehen. Hier könnte ein Weg für den ökologischen Weinbau liegen, der in die Zukunft weist.

Kulturprodukte statt synthetischer Ware

Dagegen stellen synthetische Weine alles infrage: die europäische Tradition, die Individualität des Geschmackes – einfach alles, was die weinkulturelle Identität in den europäischen Weinregionen ausmacht. Hier kann Biowein eine Alternative eröffnen, wenn er die Identität des Produktes Wein garantiert. Allein daraus leitet sich ein besonderer Wert ab, der es überhaupt ermöglicht, dass wir weiterhin von einem Kulturprodukt reden können, das all jene Vorzüge besitzt, derer sich Verkaufsstrategen momentan so gern bedienen. Wein ist ein Teil der kulturellen Identitätsgeschichte Europas, und Weingenuss funktioniert nur innerhalb ethischer Verhältnismäßigkeiten, sonst ist er eine banale Droge, die in niedrigen Dosen das Nervengift Alkohol enthält.

Moden kommen und gehen, doch das alte Credo der Biobewegung vom guten Wein, der natürlich und traditionell erzeugt wird, ohne die Umwelt zu zerstören, ist brisanter denn je. Aus dem Traum ist längst eine Herausforderung geworden, der sich die ganze Branche stellen muss. Das wird wohl die Zukunft des gesamten Weinbaus entscheiden.