Der verfluchte Erfolg

Das rasante Wachstum der Biobranche erkauft diese mit ihrer langsamen Annäherung an die konventionelle Ernährungswirtschaft. Die bisher gültige Frontstellung wird zum Anachronismus

VON TILMAN VON ROHDEN

Die Rinderseuche BSE im Jahr 2000 hatte auch ihr Gutes. Sie war der Ausgangspunkt für die Agrarwende, die von der damaligen Ministerin Renate Künast landauf, landab gegen viele Widerstände, so gut es eben ging, durchsetzte. Die Stärkung des Verbraucherschutzes, die Förderung der ökologischen Landwirtschaft und des Tierschutzes in der Landwirtschaft waren einige der wesentlichen Ziele dieser Agrarwende. Das sechseckige staatliche Biosiegel, das die Kriterien der Öko-Verordnung der EU ins deutsche Recht umsetzt, ist das wohl markanteste Zeichen dieses politischen Aufbruchs ins ökologische Zeitalter.

Vom politischen Anspruch der Agrarwende ist auf Bundesebene wenig übrig geblieben. Die große Koalition mit ihrem Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer (CSU), betrachtet die Protektion der ökologischen Landwirtschaft nicht länger als ihre vornehmste Aufgabe in den genannten Ressorts. Das bedeutet aber nicht, dass die ökologische Landwirtschaft siecht. Im Gegenteil: 2006 wuchs der Umsatz in Deutschland mit ökologischen Lebensmitteln um 16 Prozent und liegt nun bei 4,5 Milliarden Euro. Das sind auch im Vergleich mit den Künast-Jahren ordentliche Werte. Am Gesamtlebensmittelmarkt erreichen die Ökoprodukte jetzt einen Anteil von rund 3 Prozent.

Branchenkenner gehen davon aus, dass dieses Wachstum in den nächsten Jahren anhält. Denn „die Nachfrage wird weiter ansteigen“, sagt Ulrich Hamm vom Fachgebiet Agrar- und Lebensmittelmarketing der Universität Kassel. Maßgeblich dafür sei, dass für die Verbraucher „die Lebensmittelsicherheit und der unverfälschte Genuss ohne schlechtes Gewissen gegenüber Tieren und Umwelt“ immer wichtiger würden.

Der anhaltende Boom im Ökobereich gebiert aber auch seine Opfer. „Dem Bioladen droht das Schicksal der Tante-Emma-Läden in den Siebzigerjahren“, sagt Sabine Gerlach, die am Verbundprojekt „Von der Agrarwende zur Konsumwende“ mitarbeitete. Nach ihrer Studie sind die Bioläden weniger vom konventionellen Lebensmittelhandel bedroht, sondern eher von den Biosupermärkten, die von den Kunden in den Punkten Regionalität, Beratung und Atmosphäre besser beurteilt würden. Bisher gibt es erst vergleichsweise wenige Biosupermärkte. Doch das ändert sich zusehends. „Damit wird eine Entwicklung in Richtung größere und rationelle Betriebstypen voranschreiten. Eine Ökonomisierung des Biohandels kann die Folge sein“, so Sabine Gerlach. „Eine Annäherung an die Preiskriege des konventionellen Handels“ bestimmt ihren Erwartungshorizont.

Mit der Ausweitung und Europäisierung der Beschaffungsmärkte nicht zuletzt durch das staatliche Biosiegel, das rasante Wachstum der Biosupermärkte, das Aufkommen von Biofertiggerichten und den Einstieg des konventionellen Lebensmittelhandels einschließlich der Discounter in den Verkauf von Bioprodukten „verschwimmen die bisherigen Grenzen zwischen der ganzheitlich orientierten Öko- und Naturkost-Szene und dem konventionellen Lebensmittelsektor“, sagt Karl Werner Brand, der das Projekt „Von der Agrarwende zur Konsumwende“ leitete. Diese Tendenzen der Konventionalisierung der Biobranche „gefährden die Glaubwürdigkeit der Produkte. Dazu trägt auch bei, dass das staatliche Biosiegel den Konsumenten nur unzureichend die spezifischen Qualitäten und den Zusatznutzen von Biolebensmitteln vermittelt“, so Brand.

Die Konsequenz zieht Reinhard Pfriem, Forscher an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg: „Spätestens seit Existenz dieses Siegels ist die Verwendung von Bio im Singular und damit auch die Vorstellung von zwei Lagern in der Ernährungswirtschaft – bio und konventionell – zu einem Anachronismus geworden.“ Das macht die Kommunikation eines scharf umrissenen Begriffs von Bio nicht gerade leichter. Pfriem fordert deshalb „die Kommunikationsstrategien der Differenzierung“ zu verstärken.

Vor dem Hintergrund der friedlich-freundlichen Umarmungsversuche der übermächtigen konventionellen Landwirtschaft und ihrer Handelssysteme erscheint ein anderes derzeitiges Problem als temporäre Marginalie: Die Umsätze in der Biobranche wachsen deutlich schneller als die Flächen. Verarbeiter und Händler suchen händeringend nach deutscher und regionaler Bioware. Nur: sie bekommen sie nicht.