die taz vor 13 jahren über den rot-grünen wahlsieg in hessen und die aussichten der grünen
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Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ist jetzt in Hessen eine Koalition von Sozialdemokraten und Bündnisgrünen vom Wähler bestätigt worden. Dabei beschreibt der Begriff Bestätigung nur unzureichend, was geschah. Zwar bleibt Ministerpräsident Eichel im Amt. Aber nur dank der Gewinne der Bündnisgrünen. Mehrmals mußte Eichel darauf hinweisen, daß die SPD schließlich immer noch dreimal so stark ist wie die Grünen; der Eindruck von außen ist ein anderer. Die schlichte Feststellung, die Grünen seien eben die modernere Partei, die die aufgeklärte, materiell abgesicherte großstädtische Mittelschicht vertritt, während die SPD die gesellschaftlichen Verlierer auffängt, wird den Bonner Parteistrategen die Haare zu Berge stehen lassen. Verfestigt sich dieses Image, wird der Trend von Hessen bundesweit zur Regel: In rot-grünen Koalitionen gewinnt letztlich Grün. Die Grünen haben sich nach dem Rückschlag von 1990 endgültig als drittstärkste politische Kraft der Republik etabliert. Mit Angstkampagnen – Stichwort rot-grünes Chaos – ist ihnen längst nicht mehr beizukommen. Trotzdem ist der Erfolg von Hessen nicht umstandslos auf andere Bundesländer übertragbar. Das könnte sich schon bei den Neuwahlen in Bremen zeigen, denn dort wird voraussichtlich die PDS eine Rolle spielen. Der Etablierungsprozeß der Grünen, angefangen von Veränderungen im Auftreten ihrer RepräsentantInnen bis hin zur Anerkennung des Sachzwangs als regelmäßige Basis politischer Entscheidungen, hinterläßt ein Vakuum, das die PDS sich nun anschickt im Westen zu füllen. Vielleicht gelingt es den Grünen, den Angriff der PDS mit dem Hinweis abzuwehren, der ostdeutsche Rentnerklub sei schließlich alles andere als ein Sammelbecken für westdeutsche Sozialrevolutionäre. Auf Dauer wird das nicht reichen. Die Günen müssen nun zeigen, daß sie ein politisches Anliegen haben und sich nicht in Machtspielen verschleißen lassen.Jürgen Gottschlich, taz, 21. 2. 1995