Die alles entscheidende Wende

Erst gaben sie sich große Mühe und die Sache war ernst. Dann aber wagte sich die Band British Sea Power an hymnische Melodien und erspielte sich ihre Berechtigung an einem zweigeteilten Konzertabend im Lido

Kennt jemand noch James? James, die Band? Das war eine vielköpfige Kapelle aus Manchester, die zwischen 1987 und 1994 eine ganz gute Zeit hatte. Sie hatten Verve, sie hatten eine Trompete, einen Haufen Britpop-Songs, der bis auf Ausnahmen („How Was It For You“!) aber relativ gleich klang, und sie hatten eine Ernsthaftigkeit in ihrem Ringen nach Ausdruck, die sie beinahe verschluckt hätte, egal, wo sie waren.

So ungefähr ist das mit British Sea Power auch. Diese Band ist zu siebt, kommt aus dem schönen Badeort Brighton (eine Art großes Usedom in Cool), hat auch eine Trompete (bzw. genauer: ein Kornett) dabei und eine alles aufsaugende Ernsthaftigkeit. Am Mittwochabend im nicht ganz gefüllten Lido jedenfalls war die Ernsthaftigkeit mit Händen zu greifen. British Sea Power gingen ihrer Arbeit nach – beflissen, ein wenig verkrampft auch in den Versuchen, unverkrampft zu sein (ausgerechnet der Trompeter gab den Kaspar der Band), allgemein angestrengt. Sänger Yan krächzte und hauchte die Stücke herunter, Abi Fry stand in großer Hose und noch größeren Hosenhemd meist mit dem Rücken zum Publikum und zog bescheiden begleitende Töne aus ihrem schicken Instrument, einer Viola, die anderen machten auch nur ihren Job. Spaß haben sieht vermutlich anders aus.

Dennoch war es ein interessantes Konzert. Was an den großen Unterschieden lag. Und an den eher kleinen zwischen Kitsch und Bedeutung, zwischen großer Melodie und bräsigem Bombast. Besonders in der ersten Konzerthälfte machten British Sea Power die Fehler, die man von untergegangenen Bands der Achtzigerjahre kennt. Man vermeidet bewusst die nahe liegenden Melodien und Akkordwechsel, wird somit aber nur unnötig kompliziert und nahezu unhörbar, weil monoton, ohne daraus eine Kraft zu ziehen (da fallen mir aus der Vergangenheit Red Lorry Yellow Lorry ein, aus der Gegenwart Bloc Party). Man zitiert Rockismen, feiert sie aber nicht, sondern stellt sie in einen Kontext aus Ernstgemeintheit (U2, Simple Minds). Die Lücken kleistert man schließlich mit Breitwandgitarren zu (U2, Simple Minds, Killing Joke) oder mit politisch aufgeladenen Folklorezitaten durch Viola und Trompete (James, Levellers, New Model Army). Die Rettung für British Sea Power bestand zunächst allein im Bassisten Hamilton – er lieferte den Druck, die stoischen, guten Bassläufe, und dann tauschte er mit Sänger Yan die Rollen und lieferte als Gitarrist und Sänger sogar die besseren Songs.

Die entscheidende Wende, der große Unterschied zur bemühten ersten Hälfte geschah mit dem wuchtigen Instrumentalstück „The Great Skua“ von ihrer neuen, dritten Platte „Do You Like Rock Music?“. Das ist ein trauriges, langgezogenes, so kitschig wie schönes Surfstück, zu dem passgenau eine Leinwandprojektion im Hintergrund lief und tolle Naturbilder zeigte: Das Meer! Die Wellen! Die Brandung! Die Möwen! Die Klippen! Die Fische! Usw. Plötzlich schien das Pathos zu passen – die Single „Waving Flags“, „Atom“ und ältere Stücke nahmen die Welle mit. Jetzt schwang sich die anfangs so schale Band zur englischen Konkurrenz von The Arcade Fire auf. Dem Kornett von Phil Summer fielen endlich hymnische Melodien ein, die Viola machte auch endlich Sinn, Gitarrist Noble schrie in seine kleinen Tonabnehmer und wirkte auch endlich nicht mehr so, als ob er lieber bei Oasis spielen würde. Kurzum, British Sea Power erspielten sich ihre Berechtigung. Schade war nur, dass sie mit und in der Zugabe dann kein Ende fanden.

Im Vorprogramm spielten übrigens die Jeremy Days. Nein, das war Marc Almond. Nein, es war Sir Simon Battle, der ohne Band seine übernetten Popsongs zur Gitarre darbot. Es wiederholt sich eben alles einmal.

RENÉ HAMANN