10 Cent für ein Kilo taz

Die taz ist in Kenia begehrt: als bestes Einwickelpapier auf den Märkten. Nur über Fotos mit nackten Hintern wundern sich die Afrikaner

Ein saftiges Stück Rindfleisch rutscht in eine Plastiktüte und wird eingewickelt in eine Zeitungsseite. Das Papier soll das Fleisch kühl halten in der Mittagshitze in Ongata Rongai. Metzger Kennedy Kinyanjui schaut auf ein Zeitungsfoto: ein halbnackter Hintern während des brasilianischen Karnevals. „In dieser Zeitung werden ungewöhnliche Bilder gezeigt. Männer, die sich küssen. Und nackte Leute. Das ist alles sehr unafrikanisch“, sagt Kinyanjui. „Ich kenne diese Sprache nicht, aber es muss aus Europa kommen. Die Muzungu haben so ihre eigenen, nicht immer verständlichen Gewohnheiten“. Muzungu heißt „Ausländer“ in Kenia. Und die Zeitung der „Ausländer“, die Metzger Kinyanjui in den Händen, ist die taz.

Ein Kunde kommt in die kleine Verkaufsbude, in der gerade mal Metzger Kinyanjui Platz hat. Eine halbe Kuh hängt an einem Haken vor dem Fenster. Die beiden unterhalten sich über die Neuigkeiten der Kenia-Krise, die seit den umstrittenen Wahlen, seit Ende 2007 herrscht. Der Metzger schwingt einen Stock, an dem mit Klebeband ein Ochsenschwanz befestigt ist, um Hunderte von Fliegen zu verscheuchen. Er gibt nach einiger Zeit auf.

Als der Metzger hört, dass es um eine deutsche Zeitung geht, denkt er kurz nach. „Dort essen sie Schweinefleisch, nicht? Ich mag das auch, aber meine Kunden haben lieber Rind oder Ziege.“ Kennedy Kinyanjui stört sich nicht an den für ihn ungewöhnlichen Bilder der taz. „Jeder hat so seine Eigenarten, und solange es meine Kunden nicht stört, habe ich keine Probleme mit der Zeitung. Außerdem sind die Seiten größer als unsere Zeitungen, es passt mehr Fleisch rein. Und das Zeitungspapier ist stärker.“

Die taz bekommt Metzger Kinyanjui von meinem Hausangestellten, John Wambua, der meine gelesenen tazzen sammelt und sie für ein paar Groschen weiterverkauft. Er bindet die alten Zeitungen zusammen und bringt sie auf seinem Fahrrad nach Ongata Rongai, einen großen Ort außerhalb der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Die Metzgerei von Kennedy Kinyanjui liegt an einer Straße, die sich wellt wie ein Meer während eines schlimmen Sturms. Die meisten Einwohner von Ongata Rongai arbeiten in Nairobi – doch dort sind ihnen die Häusermieten zu hoch.

John Wambua hat noch einen zweiten Kunden für die alten tazzen. In der Nähe der Metzgerei hat Mary Nditi ihren Laden, wo sie Bohnen, Mais und andere Hülsenfrüchte verkauft. Auch hat sie einen Großhandel für Zeitungen. Na ja. Groß ist in diesem Fall relativ: Sie verkauft täglich nur einen Stapel Zeitungen, den sie in der Ecke ihres Ladens aufgestellt hat. „Ich kaufe Zeitungen und verkaufe sie weiter an Geschäftsleute, die sie brauchen. Pro Kilo verdient ich 10 Cent“, sagt sie. Also auch an der taz.

Aber die Geschäfte liefen nicht gut in den vergangenen Wochen. Es gab zwar keine gewalttätigen Ausschreitungen in Ongata Rongai. Aber viele Einwohner haben ihre Arbeit verloren – und damit kein Geld, um einzukaufen. Der Bedarf an Zeitungen hat sich bei den Geschäftsleuten verringert. Mary Nditi sucht in dem Zeitungsstapel und findet eine taz mit einem Artikel über die politische Krise in Kenia, die bisher mehr als tausend Menschen das Leben kostete. „Dieses Bild hier ist von einem Armenviertel in Nairobi, wo meine Schwester wohnt. Daran erkannte ich es“, erklärt sie. Auch sie hat die für Afrika ungewöhnlichen Bilder in der taz bemerkt. „Ich lasse mich nicht stören durch so etwas. Solange es mir Geld bringt, bin ich zufrieden“, sagte sie.

Sie nimmt John Wambua zur Seite. Sie flüstern. Während unserer Heimfahrt erzählt Wambua: „Sie kann mir weniger Geld zahlen für die Zeitungen, weil die Geschäfte nicht gut laufen.“ Er hat aber eine Idee: „Ich werde die taz aufbewahren, bis der Preis wieder günstiger ist.“ ILONA EVELEENS