berliner szenen Trinker als Sujet

Vor dem Glascontainer

Der Tag war noch ziemlich neu, doch schon arg grau mit leichtem Nieselregen. Vor dem Supermarkt stand ein Trinker neben einem Altglascontainer. Er wohnt da sozusagen, auch wenn er woanders schläft. Er hat schöne lange, rote Haare, ein wettergegerbtes Gesicht, wie man in Abenteuerromanen schreiben würde, und Klamotten aus Fleece in diesen billigen Fleecefarben, die supergut in diesen grauen Tag passten. Ich denke immer, er kommt bestimmt aus Schottland. Er saß auf einer Getränkekiste und trank billiges Bier. Vor ihm stand ein Einkaufswagen. In dem noch andere Bierflaschen waren. Vielleicht auch noch was zu essen; Kekse, eine Banane; keine Ahnung. Mir wäre es unhöflich vorgekommen, genauer dorthin zu gucken.

Normalerweise sind da noch andere Trinker, die zu Einkaufsvorgängen ihre Witze machen. Wahrscheinlich würden die später kommen. Ein Foto des Manns jedenfalls hätte hundert Punkte gekriegt. Ich hatte eine Kamera dabei. Im Supermarkt überlegte ich, ob ich ihn fotografieren solle. Vielleicht fände er es ja gar nicht schlimm, fotografiert zu werden, auch wenn er als Foto dann für etwas Allgemeineres stehen müsste. Ich hätte ihn einfach fragen können, dachte ich, während ich am Fotoautomaten kurz hinter dem Supermarkt vorbeiging, entschied mich aber dagegen.

Irgendwie wäre es ausbeuterisch gewesen, den Mann, den ich fast jeden Tag sehe und mit dem ich nie ein Wort gewechselt habe, anzusprechen, nicht um mit ihm zu reden, sondern nur in der Absicht, ein Foto von ihm zu machen, das ich dann als stolzer Fotograf ins Internet hätte stellen können. Ich ließ es und fotografierte stattdessen, wie jeden Tag, den netten Lieferwagen an der Ecke, auf den jemand „Hallo“ geschrieben hat. DETLEF KUHLBRODT