Einsatz mit dem ganzen Körper

Den 48. „Weißen Bären von Berlin“ in Hohenschönhausen gewinnt der Kasache Alexander Axenov. Beim weltweit größten Degenturnier fechten Profis gegen Hobbysportler. Der Bundestrainer nutzt das zur Rekrutierung seiner Nationalmannschaft

VON JOHANNES KOPP

Für Pascal Schreyer war es das Ereignis des Jahres. Die größtmögliche sportliche Herausforderung. Sechs Stunden focht er am Samstag, bis er schließlich ausschied. Anfangs zog der Neunte der Berliner Rangliste seinen Degen noch gegen Kontrahenten seiner Kragenweite blank. Das sah der Turniermodus so vor. Am Ende traf er jedoch auf Gegner internationaler Güte. Die Erschöpfung stand dem 21-Jährigen ins Gesicht geschrieben: „Aber es hat Spaß gemacht, gegen so viele gute Fechter zu kämpfen.“ Und vor allem deshalb war der Hobbysportler schon zum sechsten Mal beim Turnier „Weißer Bär von Berlin“ angetreten.

Der Leverkusener Leistungssportler und Fünfte der deutschen Rangliste, Christoph Kneip, hingegen wollte eigentlich gar nicht nach Hohenschönhausen kommen, sondern lieber Kräfte sparen. Für die internationalen Wertungen kann man bei diesem B-Turnier sowieso nicht punkten. Und die Veranstaltung sei unheimlich anstrengend, sagte Kneip. Knapp 200 Fechter aus 25 Ländern traten am Wochenende beim weltweit größten Degenturnier an. In der sogenannten Großen Halle im Sportforum ließen die 20 Fechtbahnen kaum noch Platz für Zwischenräume.

Nirgendwo muss ein Turniersieger so viele Gefechte durchstehen wie in Berlin. Und Kneip nahm diesen Marathon nur auf sich, weil ihn der Bundestrainer Walter Steegmüller einbestellt hatte. Für den 28-Jährigen ging es um den letzten freien Platz im Nationalteam. Ein großes Ziel, vor allem deshalb, weil sich die Deutschen in zwei Wochen in Stockholm für die Olympischen Spiele in Peking qualifizieren können. Kneip und Martin Schmitt waren die von Steegmüller auserkorenen Kandidaten. Der Bundestrainer hatte bestimmt: Der Bessere von Berlin fährt mit nach Schweden.

Das war am Ende Martin Schmitt. Er erreichte am Sonntag den 17. Platz. Christoph Kneip wurde nur 50. Das Finale gewann der Kasache Alexander Axenov, der die Trophäe, einen weißen Porzellanbären, mit nach Hause nehmen kann.

Zum 48. Mal wurde der „Weiße Bär von Berlin“ ausgefochten. Von nahezu überall kamen die Sportler. Der Asienmeister Kasachstan trat mit seiner kompletten Nationalmannschaft an. Sogar aus Venezuela, Tunesien und dem Irak hatten sich Degenspezialisten angemeldet.

Das Besondere des Berliner Fechtturniers spiegelte sich aber in den Biografien von Pascal Schreyer und Christoph Kneip wider. Der Spaß suchende Gelegenheitssportler und der unter Druck stehende Olympiakandidat hätten hier durchaus auch aufeinandertreffen können. Zur Wettbewerbsteilnahme ist lediglich der Besitz einer Fechtlizenz vorgeschrieben, und die kann jeder motorisch mittelbegabte Mensch nach einem Jahr Übung erwerben.

Der Reiz des offenen Teilnehmerfeldes ergibt sich aus den Eigenheiten des Degenfechtens. Im Unterschied zum Florett zählt der ganze Körper als Trefferfläche. Und irgendwo kann auch der Unerfahrene schon mal treffen. Die Degenspezialisten, so heißt es, können sich am wenigsten der Tyrannis des Zufalls entziehen. Wenn anstatt auf 15 Treffer nur auf 5 gefochten wird, wie am ersten Wettkampftag, dann obsiegt zuweilen der Amateur über den Spitzensportler.

Den Könnern macht vor allem die unorthodoxe Kampfweise der Anfänger zu schaffen. Kneip erklärt, als Spezialist sei man auf bestimmte Verhaltensweisen geeicht. Unerfahrene entsprächen nicht diesen Mustern. „Die springen manchmal unvermutet in Bewegungen rein. Da denkst du nur: Das tut doch kein normaler Mensch.“ Der Druck, sich bei diesem Turnier nicht zu blamieren, sei sehr groß, und dies sei eine ausgezeichnete mentale Übung. Genau deshalb schicken viele Trainer ihre Spitzenathleten hierher. Bundestrainer Steegmüller sagt: „Du musst dich hier durchquälen.“

Für den ehrgeizigen Hobbyfechter Pascal Schreyer ist die Veranstaltung eine einzigartige Gelegenheit, sich mit guten Gegnern zu messen. Aus seiner Sicht profitieren die Leistungs- und Nachwuchssportler voneinander. Jeder ginge gestärkt aus diesen Begegnungen hervor. Vor zwei Jahren hat er einmal den derzeitigen Dritten der Deutschen Rangliste, Norman Ackermann, geschlagen. Die Erinnerung daran hütet er wie einen Schatz, sagt er. „Das sind besondere Momente, an denen man sich festhält.“