Theatralische Kurznachrichten

Zwei schwarz-bemantelte kommen herein, gehen ans andere Ende des lang gestreckten Raumes und bleiben vor dem Fenster zum Garten stehen. „Hübsch hier“, sagt die Frau, die Sonntagszeitung unterm Arm, „eine kleine Oase.“ Der Mann sagt nichts. Die beiden suchen sich einen Platz neben einem der zwei Olivenbäumchen, hängen ihre Mäntel über die Lehnen der schlanken Metallstühle und bestellen Cappuccino. Die übrigen 16 Tische im aufgeräumten Frühstückssaal des Hotels „Wedina“ sind noch leer, nur gedämpfte Stimmen einiger Angestellter dringen aus der angrenzenden Küche. Irgendwo pfeift jemand.

Das „Wedina“ liegt an einer schmalen Verbindungsstraße unweit des Hamburger Hauptbahnhofs und macht sich seit neun Jahren einen Namen als „Literaturhotel“. Im Frühstücksraum saßen schon Orhan Pamuk, Henning Mankell oder John von Düffel. Alle drei Monate lädt die Reihe „Literaten im Hotel“ zu Lesungen bei freiem Eintritt. Jeder Autor lässt ein handsigniertes Buch da, zwei deckenhohen Holzregale im Foyer sind schon voll – mit Pamuk, Boyle und Mankell.

Am Sonntag nun Laura de Weck. Die 26-jährige Schweizerin gehört seit August zum Ensemble des Jungen Deutschen Schauspielhauses und liest aus ihrem ersten eigenen Bühnenstück: „Lieblingsmenschen“ wird derzeit in Basel und Mannheim aufgeführt. Als sie beginnen soll, ist der Frühstücksraum voll, die ersten Zuhörer sitzen im Foyer auf Klappstühlen. „Macht nichts“, sagt ein Mann im hellbraunen Cordsacko und deutet auf das Mikrofon auf den zwei zusammen geschobenen Tischen in der Mitte des Raumes.

Kaum jemand unterbricht das Gespräch, als de Weck in hautenger Jeans, schwarzem Pullover und ausgetretenen, weiß besohlten Stoffturnschuhen hereinkommt. Aus ihrer grünen Ledertasche ragt, rot eingeschlagen, das Manuskript hervor. Sie setzt sich vor das Mikro und sieht sich etwas verlegen um. Abgesehen von vielleicht drei Zuhörerinnen ist sie die Jüngste hier. Dann liest sie los, reißt mit den stakkatoartigen, rhythmischen Dialogen ihrer sechs Studenten alle mit. Nicht nur die Frau mit der Sonntagszeitung kichert unentwegt.

„Ich wollte kein Generationen-Stück schreiben“, sagt de Weck nachher. „Meine Figuren verbindet alle die Sehnsucht nach etwas, das hält und das ist nicht generationenspezifisch.“ Zustimmendes Nicken und Murmeln. Dann hebt eine Rothaarige den Arm. „Warum erzählen Sie einige Szenen nur mit Kurznachrichten?“ Sie selbst verschicke nie solche Nachrichten, wisse auch gar nicht, wie das gehe. „Genau“, pflichtet ihr ein Schlaks mit vollem, grauem Haar bei. „In der SMS kann gnadenlos gelogen oder weglassen werden, sie verknappt alles auf wenige Worte und ist sehr unmittelbar“, sagt de Weck. „Das macht die SMS so theatralisch.“ Das lässt der Grauhaarige nicht gelten: Der Brief habe den selben Effekt oder das Billett, das sich Verliebte hin- und herschicken. Die jungen Zuhörerinnen schauen verwundert.

Nach der Lesung treten zwei Frauen an den Tisch. Ob de Weck ihr Buch signieren würde? Sie leiht sich einen Kugelschreiber und schreibt so umsichtig und konzentriert, als habe sie es erst gestern gelernt. „Solche Situationen sind schon ungewohnt und wenn ich meinen Namen einfach so schreibe, kann den niemand lesen“, sagt sie und grinst schief. Das wichtigste Buch muss sie dann auch noch signieren: Es kommt zu den Nabokovs, Pehnts und Enquists. Ins Foyer, ins Holzregal. ILKA KREUTZTRÄGER