Naumann macht den Schröder

Die Koalitionsbildung in Hamburg ist weiterhin unklar. CDU will mit SPD und Grünen sondieren. Die GAL-Basis wird am Donnerstag ihren Kurs abstecken. Derweil kommen erste Signale für ein rot-grün-rotes Bündnis links von der Union

VON SVEN-MICHAEL VEIT

Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) hat das Mandat der Bundespartei, nach der Bürgerschaftswahl in Hamburg über eine große Koalition oder ein schwarz-grünes Bündnis zu verhandeln. Die Parteivorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel „hat mir ausdrücklich freie Hand gelassen“, sagte von Beust gestern nach einer Sitzung der Parteispitze in Berlin.

Es sei aber zu früh für eine Festlegung. „Wir entscheiden nach Hamburger Interessen und nicht, weil wir Modell sein wollen“, sagte von Beust. Er rechne mit „zügigen“ Gesprächen mit der SPD und der Grün-Alternative Liste (GAL). Etwa Mitte nächster Woche könne entschieden werden, mit welchem potenziellen Partner ernsthafte Koalitionsgespräche aufgenommen werden, glaubt der 52-Jährige, der seit sechseinhalb Jahren Senatschef in Hamburg ist.

Nach dem vorläufigen Endergebnis (siehe Tabelle) der Wahl am Sonntag, das Landeswahlleiter Willy Beiß gestern Mittag bekannt gab, sind herkömmliche parlamentarische Mehrheiten unmöglich. Die CDU verlor ihre absolute Mehrheit, der ihr genehmste Regierungspartner FDP allerdings scheiterte erneut an der Fünf-Prozent-Hürde. Die Linke zog dagegen ins Landesparlament ein. Rechnerisch bleiben deshalb nur drei Optionen: eine große Koalition aus CDU und SPD, ein schwarz-grüner Senat oder ein Dreierbündnis von SPD, Grünen und Linkspartei.

Nach einer Sitzung des Landesvorstandes signalisierten gestern Abend SPD-Spitzenkandidat Michael Naumann und Parteichef Ingo Egloff die „unter demokratischen Parteien“ übliche Gesprächsbereitschaft. Jedoch gingen sie davon aus, dass die CDU ein schwarz-grünes Bündnis einer großen Koaltion mit der SPD vorziehen würde.

Derweil bereitet Naumann nach taz-Informationen bereits seinen Rückzug vor. Ohnehin war es mehr als fraglich, ob der 66-Jährige ein Senatorenamt unter von Beust ausüben oder gar als Hinterbänkler in der Bürgerschaft Platz nehmen würde. Schwarz-rote Verhandlungen würde Naumann noch führen, danach aber auf seinen Posten als Herausgeber der Zeit zurückkehren. Naumann solle bei der CDU den Preis hochtreiben, berichten übereinstimmend zwei führende Genossen, „und dann geht er als Star von Bord wie damals sein Freund Gerd Schröder“.

Ob es zu Verhandlungen zwischen CDU und GAL kommen wird, ist unklar. Am Donnerstagabend wird die grüne Basis auf einer Mitgliederversammlung über Konsequenzen aus dem miserablen Wahlergebnis beraten. Parteivorstand und Spitzenkandidatin Christa Goetsch werden mit großer Wahrscheinlichkeit ermächtigt, „mit allen zu reden“, glaubt Parteivize Jens Kerstan, auch über ein Dreierbündnis mit der SPD und der Linken. Dass es zu ernsthaften Koalitionsverhandlungen der GAL mit wem auch immer kommen werde, hält Kerstan aber „für nicht sehr wahrscheinlich“.

Denn die inhaltlichen Übereinstimmungen zwischen Schwarz und Grün seien „nach der Wahl so gering wie vor der Wahl“. In der Schul- und Umweltpolitik, für die Hamburger Grünen zwei Kernbereiche, seien Einigungen so gut wie ausgeschlossen. Und für ein Bündnis links von der CDU „müssten wohl alle über ihre Schatten springen“, mutmaßt der grüne Vizechef. „Aber falls die Linke bereit ist, Verantwortung zu übernehmen und ein ernsthaftes Angebot für eine Koalition auf den Tisch legt, können wir darüber mal sprechen.“

Während Naumann und Egloff gestern Abend diese Option erneut ausschlossen, kamen aus der künftigen Bürgerschaftsfraktion der Linken bereits erste zaghafte Signale. „Der Politikwechsel in Hamburg ist wichtig“, sagt Kersten Artus, die auf Listenplatz fünf ein Mandat errungen hat. „Und wenn SPD und GAL ihre Wahlversprechen tatsächlich umsetzen wollen, können wir darüber reden“, meint die 43-jährige Betriebsratsvorsitzende des Bauer-Verlags, die über die WASG in die Linkspartei kam.

Deutlich konkreter wird Vorstandssprecherin Christiane Schneider, die auf Platz drei kandidierte. Ihre Fraktion werde noch vor irgendeiner Senatsbildung mit fünf Initiativen in der Bürgerschaft SPD und GAL „mal antesten“, kündigte die frühere Hamburger PDS-Chefin an. Und wenn Rote und Grüne zum Beispiel die Linke-Anträge zur Einführung eines HVV-Sozialtickets oder zur Streichung von Studiengebühren mittrügen, so Schneider, „können wir mit ihnen auch über mehr reden“.

„Das müssen wir ausloten“, sagt dazu der SPD-Abgeordnete Thomas Böwer. Ein rot-grün-rotes Bündnis sei „die einzige Chance für einen Politikwechsel“. Und die CDU müsse erkennen, dass sie sich für 42 Prozent nichts kaufen kann – und erst recht keinen Mehrheitsbeschaffer.

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