Im Schnittpunkt der Linien

Die „1. Biennale Tanzausbildung“ im HAU hat hochgesteckte Ziele. Das Treffen von Leuten aus elf staatlichen Tanz- und Fachhochschulen dient dem Austausch über Ausbildungsmodelle

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Eine Woche lang tobt im Berliner HAU die „1. Biennale der Tanzausbildung“. Es ist das erste große Treffen von Studenten, Dozenten und Professoren aus elf staatlichen Tanz- und Fachhochschulen, die in Deutschland Ballett und zeitgenössischen Tanz vermitteln. Sie kommen aus Frankfurt, Hamburg, München, Dresden, Essen, Köln und Berlin, und schon das Alter der Studierenden, zwischen 16 und 30 Jahren, lässt erraten, dass sie sehr unterschiedliche Hintergründe mitbringen. Im HAU, auf den Bühnen und in den Probenräumen, werden sie sich beim Morgentraining begegnen und bei den Tanzabenden, bei denen sie einige Klassiker der Tanzgeschichte und einige Uraufführungen zeigen, dazwischen in Foren und in Workshops.

Trotzdem: „Biennale“ klingt erst einmal sehr hochgegriffen, nach einer zweijährigen nationalen Leistungsschau, und ganz anders als etwa „Festival der Tanzstudenten“. Warum es auch tatsächlich um mehr geht als einen „Event, wo sich alle mal treffen“, erklärt Ingo Diehl, der in der Kulturstiftung des Bundes seit 2005 Koordinator für die geförderten Ausbildungsprojekte ist. Die Biennale, die in zweijährigem Rhythmus jeweils in einer anderen Stadt stattfinden soll, ist Teil eines langfristig gedachten Austauschs zwischen den unterschiedlichen und teils spezialisierten Ausbildungsmodellen. Vorausgegangen ist ihr die „Ausbildungskonferenz Tanz“, an der Professoren von Ballettakademien, Musikhochschulen und Häusern mit einer eigenen Geschichte wie der Folkwang-Schule in Essen oder der Palucca-Schule Dresden, über die unterschiedlichen Ziele und Maßstäbe der Ausbildung zu Tänzern und Choreografen redeten.

„Dieser Prozess muss weitergehen“, sagt Ingo Diehl. Nicht nur, damit die Studenten sehen, was an anderen Institutionen entsteht. Sondern auch, weil die Praxis sich ständig verändert und ausweitet. „Ausbildung steht immer im Zusammenhang mit einer Vision, wofür ich ausbilden möchte. Es gibt sehr unterschiedliche Arbeitsfelder im Tanz und sehr unterschiedliche Ausbildungsmodelle, das wird auf der Biennale sichtbar. Ausbildung kann nie komplett sein: Es müssen Entscheidungen formuliert werden, in welche Richtung es geht.“ Ein Arbeitsfeld ist noch immer das klassische Ballett, mit einem eigenen Markt und recht klar umrissenen Aufgaben, für den die Ausbildung noch immer im Kindesalter ansetzen muss. Neuere Felder sind die Überschneidungen von Film, bildender Kunst und Architektur mit dem Tanz, der dort oft zuerst als Instrument der Erweiterung der eigenen Wahrnehmung interessant wird. Wichtiger wird auch der Stellenwert der Theorie, und da bietet sich in Berlin zum Beispiel eine Kooperation mit der FU und ihren langjährigen Performance-Studiengängen an.

Das Hochschulübergreifende Zentrum Tanz (HZT) in Berlin, das mit der Tanzplanförderung der Bundeskulturstiftung 2006 beschlossen wurde, ist die jüngste unter den teilnehmenden Institutionen. Mit einem Master- und einem Bachelorstudiengang soll sie eine Lücke besetzen, die im zeitgenössischen Feld entstanden ist. „Das heißt aber nicht, dass die anderen Ausbildungen schlecht sind“, fügt Ingo Diehl hinzu. Die Aufbauphase des HZT ist schwierig, nicht nur, weil die Studieninhalte erst allmählich nach den Bedürfnissen der gegenwärtigen Tanzlandschaft gebildet werden sollen. Bisher fehlten zum Beispiel Räume, mehrere Projekte zerschlugen sich, bis vor kurzem die „Ufer-Studios“ gefunden wurden, leer stehende ehemalige BVG-Hallen an der Panke, die das HZT zusammen mit anderen Berliner Tanzinitiativen beziehen will. Nach dem Umbau, in einem Jahr. Bis dahin wandern die Studenten durch die Stadt, zu Workshops internationaler Dozenten in den unterschiedlichsten Räumen.

Einer dieser Workshops Anfang Januar war schon eine Vorbereitung der Biennale. Denn eines ihrer Ziele ist, alle Studenten mit den „Improvisation Technologies“, einer von William Forsythe entwickelten Methode die eigene Bewegung zu beobachten und zu analysieren, vertraut zu machen. Dafür kam Prue Lang, ehemalige Forsythe-Tänzerin, die heute vor allem in Paris unterrichtet, und arbeitete mit acht Studenten des HZT und drei der Staatlichen Ballettschule Berlin. Wie verhalten sich die Linien, die ich mit der Bewegung in den Raum zeichne, zueinander und wie die Räume, die ich mit dem Körper öffne oder verschließe? Wie ändert sich die Dynamik, wenn Linien abbrechen oder zusammenstürzen? Es sind solche Fragen an die Wahrnehmung, die den Studenten vorgegeben werden, nicht fertige Bewegungen.

Auf der Biennale selbst wird sich die Beschäftigung mit Forsythe fortsetzen in einem Workshop, der eines seiner Stücke, „One flat thing, elevated“, auseinandernimmt und erkundet, wie die Choreografie entstand. 1999 gab Forsythe die „Improvisation Technologies“ als eine CD-ROM heraus, die an den Tanzhochschulen bisher aber wenig genutzt wurde. An der Entwicklung eines neuen interaktiven Tools zum Verstehen von Choreografie soll deshalb jetzt in mehreren Schritten mit Studentengruppen gemeinsam gearbeitet werden, auch in zwei Gruppen auf der Biennale. Insofern ist die 1. Biennale der Tanzausbildung auch ein Versuch, neben der Spezialisierung der bestehenden Ausbildungsangebote einige neue Impulse an alle weiterzugeben.

Am 27. und 28. Februar stellen sich die elf Hochschulen mit Tanzabenden vor. Vom 1. bis 3. März werden in Lecture-Performances die Inhalte der Workshops vorgestellt, jeweils im HAU 1