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Ausmusterung im großen Stil

Bundesweit gibt es mittlerweile mehr Zivildienstleistende als RekrutInnen. In Bremen, der einstigen ideellen und organisatorischen Hochburg der Kriegsdienstverweigerung, entwickelt sich eher das Freiwillige Soziale Jahr

Der pazifistische Break-even war vor drei Jahren erreicht: Da gab es in der Bundesrepublik erstmals mehr Zivildienstleistende als Rekruten. Neben verbesserten Rahmenbedingungen wie der von Rot-Grün durchgesetzten Angleichung der Dienstzeiten auf neun Monate war das auch ein Erfolg „made in Bremen“: Hier sitzt die „Evangelische Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer“ (EAK), die seit Jahrzehnten deren bundesweite Beratung organisiert. Legendär ist die geschlossene Verweigerung ganzer Abi-Jahrgänge an der Weser. Hier wird Zivil herausgegeben, die Zeitschrift „für Frieden und Gerechtigkeit“, die wiederum die derzeit in der Bremer Jugendherberge gezeigte Zivikunst-Wanderausstellung „Visionen statt Divisionen“ samt Kunstpreis konzipiert.

Aber hat Bremen tatsächlich noch eine überdurchschnittlich hohe Anzahl an Kriegsdienstverweigerern? „Das ist so nicht mehr feststellbar“, sagt Günter Knebel, seit 1982 Geschäftsführer der EAK: „Von dieser Vorstellung mussten wir uns schon vor längerer Zeit verabschieden.“ In der Tat steckt nicht hinter jeder signifikanten Zahlenbewegung ein Trend – zumindest nicht der, den die Statistik auf den ersten Blick nahe legt. So zeugt die bundesweite Zunahme der Kriegsdienstverweigerer um gut 20.000 im Jahr 2007 keineswegs von häufigeren Gewissensentscheidungen. Sondern von den vermehrten Musteranstrengungen der Kreiswehrersatzämter.

Im vergangenen Jahr seien zu diesem Zweck 200 zusätzliche MedizinerInnen „angemietet“ worden, sagt Peter Tobiassen, Geschäftsführer der im Bremer Umland sitzenden Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer. Dahinter stehe die Absicht, per hoher Untauglichkeits-Quote „Wehrgerechtigkeit“ zu suggerieren. In Zahlen: Statt der jahrelang üblichen und auch im mitteleuropäischen Vergleich bestätigten Ausmusterung von etwa 12 Prozent wird derzeit fast die Hälfte jedes Jahrgangs für untauglich erklärt. So verkleinert die ihrerseits stark schrumpfende Bundeswehr den Überhang faktisch nicht gebrauchter Wehrdienstpflichtiger.

Was von Bremen als einstiger KDV-Hochburg bleibt, ist eine relativ hohe Zivildienststellen-Dichte: Mit derzeit noch rund 1.000 Stellen, von denen knapp siebenhundert besetzt sind, ist sie rund ein Drittel größer als etwa in Hamburg. In absoluten Zahlen allerdings ist auch hier der Trend nach unten eindeutig: Seit der Jahrtausendwende hat sich das Volumen an tatsächlich geleisteter Zivildienstarbeit halbiert: Ende der 90er-Jahre gab es in Bremen noch 2.200 Stellen.

Dafür hat das geschlechtsneutrale „Freiwillige Soziale Jahr“ (FSJ) relativ stark aufgeholt: Auf einen FSJler kommen nur noch zwei Zivis, sagt Andreas Rheinländer vom Sozialen Friedensdienst, einem der großen Bremer Träger. Zwar seien die FSJler für die Einrichtungen etwas teurer – dafür bleiben sie jedoch ein ganzes Jahr. Im Gegensatz zu den Zivildienststellen gibt es für das FSJ keinen Bewerbermangel. In Kooperation mit Sportvereinen sollen neue Stellen entwickelt werden, sagt Rheinländer, der auch das „Freiwillige Ökologische Jahr“ für ausbaufähig hält. Die „Kulturjahr“-Variante soll verstärkt in Schulen zum Einsatz kommen. HENNING BLEYL

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