Noch nicht bereit für den Arbeitskampf

Mitarbeiter der Ambulanten Dienste wehren sich gegen Niedriglöhne. Doch die Kollegen sind schwer zu mobilisieren

Schwerfällige, unkreative und spießbürgerliche Besitzstandswahrer – die Gewerkschaften waren bei den alternativ Bewegten lange Zeit verpönt. Die Skepsis beruht auf Gegenseitigkeit. Noch heute, sagt Michael Musall, zuständig für den Pflegebereich bei der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, habe er „gemischte Gefühle gegenüber solchen Pflegeprojekten“.

Musall meint den einst linksalternativen Verein Ambulante Dienste (AD), der Körperbehinderte betreut, und er spielt darauf an, dass dieser sich nicht an dem mit der Senatsverwaltung ausgehandelten Pflegesatz orientiert, sondern sein eigenes Modell pflegt. Carsten Does, AD-Beschäftigter, bestätigt, dass es deshalb nur wenige juristische Mittel gibt, gegen die von der Geschäftsführung angekündigte Verschlechterung der Arbeitsbedingungen vorzugehen.

Wie so viele alternativ Bewegte hatten wohl auch die Gründungsmitglieder des Vereins nicht erwartet, dass es einmal zu Arbeitskonflikten kommen würde. Anfang der 80er-Jahre war der Verein noch übersichtlich, alle kannten sich, und irgendwie wollten alle Beteiligten dasselbe: einen menschenfreundlichen Betrieb, der die Bedürfnisse der Betreuer wie auch die der Betreuten berücksichtigt. Fast 27 Jahre nach der Gründung wären zahlreiche Beschäftigte von AD froh, wenn sie einen Organisierungsgrad hinbekämen, wie er den Gewerkschaften in vielen Betrieben gelingt.

Denn gerade mal 60 bis 80 Leute sind zum „Politbrunch gegen Hungerlöhne“ am gestrigen Mittwoch gekommen, mit dem gegen die Lohnstruktur für neue Mitarbeiter protestiert werden sollte, berichtet AD-Mitarbeiter Does. Rund 550 Angestellte zählt der Verein insgesamt. „Wegen der Größe ist die Organisierung der Mitarbeiter ganz schön schwerfällig.“

Um das von Does als „Lohndumping“ bezeichnete Vorgehen der Geschäftsführung doch noch zu verhindern, versuchen die AD-Angestellten zu mobilisieren. Die nächste Protestaktion ist schon ausgetüftelt: „Da wir in unserem Einsatz selbst neue AssistenInnen einarbeiten müssen, kündigen wir hiermit an, dass wir niemanden einarbeiten werden, der zu den neuen Konditionen eingestellt wird“, schreiben einige Angestellte in einem Brief an alle Kollegen.

Bisher ist die Resonanz allerdings ernüchternd: Gerade mal zwei der rund hundert sogenannten Betreuungsteams haben erklärt, dass sie sich an diesem Boykott beteiligen wollten.

FELIX LEE