die unwägbarkeiten des schalttags
: Wie immer Sie es machen, Sie machen es falsch

Es ist wieder so weit: Der 29. Februar soll erklärt werden. Dabei ist doch schon alles gesagt. Es gibt den Tag, und es gibt Leute, die da Geburtstag haben. Allein in Berlin sind es 2.206. Ich bin eine von ihnen. „Ach Gott, du Arme, wann feierst du denn?“ – „Wie alt wirst du?“ – „Aha, du bleibst ewig jung?“ Ich kenne diese Fragen. Was ich bisher alle vier Jahre inkognito dazu schrieb, das wiederhole ich diesmal ganz offen.

Beim 29. Februar ist Bedauern die falsche Reaktion. Das sage ich, obwohl ich unter Geburtstagspanik, Geburtstagsschmerz und Geburtstagskoketterie leide. Denn wie soll man sonst mit etwas umgehen, das man nur spürt, wenn es ausfällt? Nicht der 29. Februar ist bedeutend, sondern die Jahre, in denen es ihn nicht gibt. Keinen Geburtstag zu haben, das ist außergewöhnlich. Was soll das Getue dann heute?

Wie immer wollte ich ihn deshalb ausfallen lassen. Aber schon seit Wochen fragen mich Freunde: „Was machst du am Freitag?“ „Ach wisst ihr, die Wohnung ist dreckig, und ich habe sowieso keine Zeit.“ Das war Geburtstagspanik, die da die Oberhand hatte. Nach dem dritten Anruf setzte sich Geburtstagskoketterie durch: „Ist doch nett, dass die dich fragen, vielleicht solltest du sie ja doch …“, denkt etwas in mir.

Wie man es dreht, heraus kommt: Ich habe ein gespaltenes Verhältnis zum 29. Februar. Ein Sowohl-als-auch-Gefühl, ein Positiv-negativ-Dilemma wie es sich hinter Hassliebe, Glückstraurigkeit, Aufmerksamkeitsignoranz verbirgt.

Das Unausgewogene merke ich, wenn man bei Gesprächen, wo es um nichts geht, auf Horoskope und Geburtstage kommt. Denn sofort geht es, hab ich den 29. 2. erwähnt, bei mir um sehr viel. Um das Besondere nämlich. Leuten, die niemanden kennen, der am Schalttag Geburtstag hat, sagt das Datum aber meist gar nichts. Für sie könnte der Februar 31 Tage haben, sie würden’s nicht merken. Da meldet sich Geburtstagsempörung in mir. Wie soll ich die Ignoranten nur auf die Spur setzen? Ihnen beibringen, dass ich außergewöhnlich bin, dass ich zu einer „qualifizierten Minderheit“ gehöre, wie Klaus-Dieter Lehmann, seines Zeichens scheidender Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, einst sagte. 68 wird er heute. Glückwunsch dazu!

Zurück zum Smalltalk. Da stehe ich plötzlich und ziehe geburtstagskokett alle Register, bis bei den Ignoranten der Groschen fällt. Was dann passiert, kennt jedes Schalttagskind. Sofort fragen die zu neuer Erkenntnis Gelangten: „Ach Gott, du Arme, wann feierst du denn?“ – „Wie alt wirst du?“ – „Aha, du bleibst ewig jung?“

Genauso dumm ist es jedoch auch, wenn jemand sofort in der Spur ist. Dem, dem der 29. Februar nämlich was sagt, sagt er es meist nur, weil er jemanden kennt, der da auch Geburtstag hat. Meinem Kollegen etwa: „Ich hab eine Tante, die hat auch am 29. Geburtstag. Die ist aber nett“, sagt er. „Aber“, schreie ich. Nicht nur dass man das Außergewöhnliche nun teilen muss, was bezogen auf die Geburtstagskoketterie ein großes Missgeschick darstellt. Diese Frau hat zudem einen entscheidenden Vorteil: Sie ist nett!

Immer wieder gern erzählt wird auch die Geschichte im Blumenladen an einem 28. Februar in einem Jahr, in dem es den 29. nicht gab: Vor mir steht ein Teenager. Sodass alle es hören können, tut seine Mutter kund, dass ihr Töchterchen sich an ihrem ausfallenden Geburtstag dennoch einen Blumenstrauß aussuchen dürfe. Da stand die Kleine, und es war klar, sie genoss das Besondere. Ich, ganz pikiert, wollte ihr das Terrain nicht allein überlassen und sagte, dass ich auch dazugehöre. Ihr Blick war vernichtend. Ich hatte ihr das Außergewöhnliche streitig gemacht. „Wo wa schon bei sind“, sagte die Kundin, die hinter mir in der Schlange im Blumenladen stand, „meene Tante ooch.“ Da war ich sauer auf die Tante dieser Frau, die ich gar nicht kenne.

Am Mittwoch allerdings erlebte ich was Schönes. Ich stand in einer Bäckerei in der Gneisenaustraße. Soluna heißt sie, und wer Brot liebt, kommt nicht daran vorbei. Ich kaufte 2 Kilo, sagte, bis Freitag wird es doch halten? „Nein, es wird sogar besser“, meint die Verkäuferin, fügte aber hinzu, dass sie am Samstag auch auf dem Hackeschen Markt stehen. „Das nützt mir wenig, ich habe am Freitag Geburtstag“, sag ich. „Oh“, ruft die Verkäuferin, „am 29. wie mein Vater. Der ist aber sehr krank.“ Ganz gerührt aber schenkt sie mir noch ein Brot vom Vortag dazu.

WALTRAUD SCHWAB

Wie immer geartete falsche Reaktionen an: schwab@taz.de