Käufer, kommt!

Im Wettbewerb um Kundschaft aus dem Umland rüsten die Städte auf. Verkaufsfläche zählt, versprochen wird Qualität, aber es reicht nicht, wenn sich am Ende das langweilige Bild von immer gleichen Filialisten bietet

Von Felix Zimmermann

Die Person mit dem Namen „alexandra“ klingt verzweifelt. In einem Internet-Forum schreibt sie: „Helft mir bitte – suche Zara!“ Ganz dringend müsse sie wissen, ob es einen Laden der spanischen Modekette in Bremen gibt, schickt noch ein „Hilfe!“ hinterher – und wartet seitdem auf einen sachdienlichen Hinweis. Bislang beschränken sich die Tipps auf einen Billigflug nach London, wo es laut „daniel26098“ mehrere Zara-Läden gibt, oder auf einen Kurztrip zu Zara nach Oldenburg, den „Honigbienchen“ vorschlägt.

Mehr als zwei Jahre ist „alexandras“ verzweifelter Aufruf jetzt her, und wenn sie immer noch nach Zara in Bremen sucht, dann wäre es so aussichtslos wie damals. Denn die erfolgreiche Kette, die den langjährigen Branchenkönig im Segment junge Mode, H&M, beim Umsatz längst hinter sich gelassen hat, ist in Bremen immer noch nicht präsent - höchstens in den Köpfen junger, modebewusster Menschen wie „alexandra“. Die ist wahrscheinlich längst nach Oldenburg gefahren und hat ihr Geld dort ausgegeben.

Ausgerechnet Oldenburg. Viel kleiner als Bremen, aber im metropolenregionalen Wettbewerb um Kundschaft ein ernstzunehmender Gegner. Voller Selbstbewusstsein jedenfalls behaupten die Oldenburger, vor allem an Samstagen sei ihre Fußgängerzone voller Bremer, die ihre eigene Stadt zu langweilig finden und in den Geschäften nicht das, was sie suchen. Behaupten lässt sich das gut, nachgeprüft wurde es noch nie, aber für das Image ist es förderlich. Und wenn schon „alexandra“, die als mutmaßlich junge Frau zur vom Einzelhandel gefragtesten Konsumentengruppe gehört, nach Oldenburg fahren muss, um Klamotten zu kaufen, dann könnte es tatsächlich sein, dass Oldenburgs Fußgängerzone der in Bremen den Rang abgelaufen hat.

Die Handelskammer Bremen, die nicht die eine Kundin im Blick hat, sondern sich gerne um das große Ganze zum Wohle der Wirtschaft kümmert, betrachtet das mit Sorge. Torsten Slink, bei der Kammer für den Einzelhandel zuständig, sagt, es gebe zu wenig Einzelhandelsfläche in der Innenstadt, und an der Qualität mangele es auch. Die Handelskammer hat ein Einzelhandelskonzept geschrieben, in dem der Mangel mit der Zahl 16,8 beschrieben wird. Das ist der prozentuale Anteil der Verkaufsfläche an der Fläche der gesamten Stadt. „Völlig unzureichend“ nennt Slink das, in Städten vergleichbarer Größe liege der Anteil von Geschäften an der Gesamtfläche zwischen 22 und 25 Prozent, in manch größerer Stadt bei 30. Sein Blick geht nach Oldenburg, das mit Bremen um den Ruf als Oberzentrum des Nordwestens wetteifert, oder nach Hannover. Beide Städte locken Konsumenten aus dem Umland an, das auch das Einzugsgebiet Bremens ist. Wer da ins Hintertreffen gerät, droht zur Ödnis zu werden. Keine Kundschaft, keine Geschäfte, düstere Straßenzüge, Leerstand, Abstieg. So klingt es, wenn Einzelhandelsexperten über den Wettbewerb der Innenstädte reden, der sich für sie vor allem an der Konsumentenfreundlichkeit bemisst. Slink sagt: „Oldenburg und Hannover investieren laufend, wenn hier nichts passiert, dann fällt Bremen zurück.“

In Oldenburg haben kürzlich Vorarbeiten begonnen für ein Einkaufscenter in der Innenstadt. Der Shoppingkoloss mit über 90 Geschäften ist umstritten, vor allem, weil er die kleinteilige Innenstadt auf eine harte Probe stellen wird. Um ihn durchzusetzen, wurde mit genau dem Argument operiert, mit dem Slink mehr Geschäfte für Bremen fordert: In Oldenburg gebe es zu wenig Einzelhandel, die Städte drumherum würden kontinuierlich an sich arbeiten und Flächen für den Handel erschließen. Nun müsse man aber wirklich etwas tun, sonst drohe Verödung. Zwar versprechen sie alle Qualität und besondere Geschäfte, aber die Folge ist ein gegenseitiges Hochrüsten im Kampf um den Kunden, der dann im überall gleich faden Einheitsbrei doch nur die Wahl hat zwischen den immer gleichen Modeketten, Handyshops und Billig-Bäckern.

Was zählt, ist der Flächenzuwachs. Gestern hat Oldenburg überholt, jetzt muss Bremen nachziehen. Wenn das Shoppingcenter in Oldenburg steht, wird die dortige Fußgängerzone genau so viel Fläche für Geschäfte haben wie die Bremer Innenstadt, sagt Slink. Es muss sich also etwas tun, deshalb hat die Handelskammer das Einzelhandelskonzept geschrieben.

Nur: Wie kann eine Stadt verändert werden, dieses komplizierte Geflecht unterschiedlicher Interessen? Immobilienbesitzer wollen Rendite, vermieten also an den zahlungskräftigsten Mieter. Wenn das der soundsovielte Handyladen ist, dann steigert das nicht die Anziehungskraft auf Kunden aus dem Umland, aber aus Sicht des Eigentümers ist es verständlich. Slink sagt, in solchen Fällen könne man nur an die Ladenbesitzer appellieren. Die müssten stets die Gesamtlage im Blick haben, und im Idealfall auf Rendite verzichten und einem ungewöhnlichen Konzept eine Chance geben. Die Handelskammer sieht aber auch Möglichkeiten, die über Appelle hinausgehen: Slink schlägt vor, einzelne leer stehende Immobilien zusammenzulegen, um sie schon von der Größe her attraktiver zu machen. Er denkt an die zum Teil ungenutzten Schalterhallen der Bankgebäude am Domshof, die für den Einzelhandel geöffnet werden könnten. Er drängt darauf, „Nebenlagen wie die Langenstraße und Carl-Ronning-Straße“ aufzuwerten, weil Bremen zu wenig Lagen der Kategorie 1A habe. Wenn es nach Slink ginge, würde die Straßenbahn irgendwann durch die Martinistraße fahren und die Obernstraße zu einem Boulevard mit Bäumen und Straßencafés. Zielgruppenanalysen würden die Bedürfnisse diverser Konsumentengruppen ermitteln, Kaufleute würden sich in Standortgemeinschaften zusammentun.

Vielleicht wird dann auch „alexandra“ zurückkommen und ihre Klamotten bei Zara in Bremen kaufen. Die Modehauskette ist seit 1999 in Deutschland aktiv. Sie würde, teilt ihr Sprecher Raúl Estradera mit, gerne ein Geschäft in Bremen eröffnen, weil es ein wichtiger Standort sei. Aber, ergänzt er: „Wir wollen die besten Läden in den besten Lagen, so lange wir das nicht finden, warten wir lieber, anstatt in Läden zu gehen, die unsere Kriterien nicht erfüllen.“