Der unbekannte Liebling der Jungkicker

Der RFC Liberta 1914 ist Berlins drittgrößter Fußballclub. Dabei spielt seine 1. Mannschaft nur in der Kreisklasse. Der Reinickendorfer Verein hat sich auf Jugendförderung spezialisiert – keine leichte Aufgabe in seinem armen Kiez

Die Mitgliederzahl in den Vereinen des Berliner Fußball-Verbands (BFV) ist 2007 auf 104.806 Personen gestiegen. Die Statistik weist gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung von 3.158 Personen (3,1 Prozent) auf. Bei den Mädchen und Frauen ist die Zahl der Mitglieder sogar um 9,1 Prozent gestiegen. Sie stellen jetzt 9,5 Prozent der Gesamtmitgliederzahl. DPA

Mit dieser Meldung des Berliner Fußballverbandes (BFV) hat kaum einer gerechnet: Obwohl die 1. Mannschaft des RFC Liberta 1914 lediglich in der Kreisklasse A angesiedelt ist, belegt der Club aus Reinickendorf mit 1.656 Mitgliedern den 3. Platz in der verbandseigenen Hitparade der populärsten Vereine. Lediglich die Branchenriesen Hertha BSC (15.360) und 1. FC Union (4.501) rangieren vor den Nordberlinern, deren Gründerväter 1914 auf dem damaligen Tegeler Schießplatz begannen, wo sich heute der Flughafen befindet.

„Wir sind ein sehr familiärer Verein und verhängen keine Aufnahmestopps für Kinder. Viele Clubs veranstalten ein Probetraining und nehmen dann nur die Besten auf. Bei uns sind alle Kinder willkommen“, nennt Reiner Rehmann, Liberta-Vorsitzender seit sieben Jahren, als Begründung für die Popularität seines Vereins. Dieser hat sich auf die Nachwuchsarbeit spezialisiert. Elf Jungs- und ein Mädchenteam führt seine Homepage auf. Im Erwachsenbereich (drei Mannschaften) ist die Clubleitung dabei, den bestehenden Nachholbedarf zu decken.

An einen überregional prominenten Akteur, der aus Liberta hervorgegangen wäre, kann sich der Vorsitzende nicht erinnern. Die größten RFC-Talente ziehen regelmäßig weiter zu den Lokalrivalen Reinickendorfer Füchse, VfB Hermsdorf oder Frohnauer SC, die bessere sportliche Perspektiven bieten.

Das Pfund, mit dem der kleine RFC beim Nachwuchs wuchern kann, sind die relativ komfortablen Bedingungen, unter denen an der Scharnweberstraße trainiert und gespielt wird. „Wir sind in der glorreichen Situation, einen Rasenplatz mit Flutlicht anbieten zu können“, erklärt Rehmann. Das erleichtert den Betrieb vor allem im Winter, wenn es früh dunkel wird. Vielen Kids bleiben dadurch umständliche An- und Abfahrtswege zu anderen beleuchteten Plätzen erspart.

Rehmann, der einen Handwerksbetrieb besitzt, stieß 1975 als Jugendlicher zum RFC. Ein „normaler“ Vereinsmeier ist der 45-jährige Vorsitzende nicht – er trainiert nebenbei auch noch die B-Jugend des Vereins. „Es ist schwer, jemanden zu finden, der den Kindern etwas beibringen kann. Alle arbeiten bei uns ehrenamtlich.“ Deshalb betreut ein Coach auch schon mal mehrere Altersklassen.

Und die Zeiten werden härter. Arbeitslosigkeit, soziales Elend und Integrationsprobleme – Rehmann kennt die Phänomene auch aus dem RFC-Kiez. „Es wird immer schlimmer“, klagt er. Eltern könnten die Mitgliedsbeiträge kaum noch aufbringen, obwohl Liberta soziale 6 bis 8 Euro im Monat verlange. Die Ausrüstung der Kinder mit Töppen oder Trainingsanzügen wird für manche Eltern zum Luxus.

Der Verein reagiert auf diese Entwicklung: Beiträge werden notfalls gestundet oder in Raten abgestottert, auf einer Tauschbörse wechseln Sportutensilien die Besitzer. „Solange die Kinder Spaß haben“, beteuert Rehmann, „versuchen wir alles, damit sie bleiben können.“

Dafür werden die Funktionäre auch abseits des Sportplatzes aktiv. „Wir lassen uns schon mal die Zeugnisse von den Kindern zeigen oder reden mit den Eltern, wenn es Sprachprobleme gibt. Die Schule ist wichtig, weil später die wenigsten vom Fußball leben können“, sagt der RFC-Vorsitzende. JÜRGEN SCHULZ