Das Wahlvolk ist wie ein Meteorit

betr.: „Machiavelli & Ypsilanti“ von Micha Brumlik, taz vom 29. 2. 08

Es stimmt: Was man versprochen hat, soll man auch halten. Das gilt zunächst auch für die hessische SPD mit ihrem Versprechen, sich nicht von der Partei „Die Linke“ tolerieren zu lassen. Gegen Brumliks Artikel muss ich aber einwenden:

Die Tolerierung einer Koalition durch eine Partei kann kein Wortbruch seitens dieser Koalition sein, denn niemand kann anderen versprechen, wie sich ein Dritter verhält. Ein Versprechen, sich nicht tolerieren zu lassen, ist logisch unmöglich. Diese Partei ist ein politisches Subjekt mit eigenem Willen und kann nach eigenem Ermessen jederzeit Tolerierungsabsprachen treffen und brechen.

Die hessische SPD hat den WählerInnen eine neue Politik versprochen. Wenn sie dieses Versprechen nur einlösen kann, indem sie das andere bricht, dann schließen sich zwei Versprechen gegenseitig aus. Hier stellt sich die Frage, ob das Wahlvolk, dem beides versprochen wurde, die SPD nicht von einem der beiden Versprechen entbinden kann.

Nun ist dieses Wahlvolk wie ein Meteorit, der alle paar Jahre vorbeifliegt, und artikuliert sich nur stumm am Wahltag durch Stimmabgabe. Es müsste also ein Forum geben, wo es sich so repräsentativ artikulieren kann, dass es sein eigenes Votum, den Wählerwillen, interpretiert. Es war ja eben dieses Wahlvolk, das die Pattsituation herbeigeführt hat, die die Einlösung des Versprechens, sich nicht tolerieren zu lassen, zum Paradox macht.

Das Wahlvolk hat Verfassungsrang, das Wahlversprechen ist situationsgebunden und taktisch. Hier liegt die Antwort auf die Frage, wie die hessische SPD zu entscheiden hat. Die hessischen WählerInnen haben sich mehrheitlich gegen Koch entschieden. Nun sollten sie sich ein zweites Mal einmischen.

DIETER MAIER, Frankfurt am Main