ausgehen und rumstehen
: Spontane Tischtänze des Bierpreises wegen – wieder bei der Party in der Dönerbude gelandet

Partys auf der Straße waren mir aus der „Reclaim the Streets“- Zeit bekannt. Auch „Reclaim the Sparkasse“ oder illegale Baustellenpartys fanden ihren Zugang zu meinem großstadtgeschulten Herzen. Dass ich mich letzte Woche aber zum wiederholten Mal – wider besseres Wissen – überreden ließ, eine Party in der Dönerbude am Schlesischen Tor zu besuchen, hatte rein gar nichts mit der Tatsache zu tun, dass die Türsteher des Weekend mich trotz Gästelistenplatz nicht durchgelassen hatten: Ich war von einem Videodreh der Hauptstadtrapper the Flexiblez gekommen und dementsprechend gekleidet. Der entscheidende Teil des Dialogs ging so: Türsteher A: „ Dit is hier keene Hiphopparty.“ Stammgast X: „Ach nee …?!“

Damit war jedenfalls die Frage Weekend oder nicht ziemlich endgültig erledigt. Man hätte sich ergeben und die paar Meter bedrückt nach Hause schlurfen, im Baiz ein Bier und eine immer seltener tolerierte Zigarette rauchen oder sich wenigstens mit einem Sternburg in der Tasche ins Kaffee Burger schummeln können, um zu sehen, ob irgendwo noch ein von Madonna benutzter Aschenbecher herumsteht. Man hätte das ständig überlaufende Klo und den entsprechenden Geruch in der Erdbeerbar bestaunen oder auch eine Abiturparty im Steinhaus besuchen können.

Aber man entschloss sich – meine Entscheidung nahm mir Aphrodite ab –, zwischen Dönerspieß und Klostein zu feiern. Die Grenze des guten Geschmacks war also erreicht. Meine äußerst liebreizende Begleitung konterte meine Ablehnung gegen diese Fleischfeier mit einem Zitat Frank McCourts: „Guter Geschmack greift um sich, wenn die Fantasie stirbt!“ So mit offenkundiger Bildung bombardiert, blieb mir nichts anderes übrig, als mich den Abend über in Spülwasser mit Zucker – genannt Beck’s Green Lemon – zu ertränken und die harmonischen sowie durchaus stimmigen Tanzbewegungen des Fräuleins zu bewundern, die für all das verantwortlich war.

Der Umstand, dass der Bierpreis logischerweise weit unter dem einer üblichen Clubbar lag, führte um mich herum zu Anstandslosigkeit und spontanen Tischtänzen. Im Gegensatz zur Musik schien das Publikum größtenteils in keine der üblichen Schubladen zu passen, allerdings ist Kreuzberg ja generell ein Ort, an dem man nur als Außenseiter zur Gemeinschaft gehört. So konnte ich an diesem Abend wenigstens mein Kindheitstrauma überwinden, als ich zum ersten Mal seit 15 Jahren die „Kiezverrückte“ wiedersah, die früher immer mit Bierdose und Strohhalm am Bahnhof gestanden hatte und den Bengels und Gören aus 36 Angst einjagte. Zwar wussten wir, dass sie sich grundsätzlich H-Milch in ihre Dose kippte, aber gerade ihr vorgetäuschter Alkoholpegel flößte uns Furcht ein.

Mein Pegel war nun nicht mehr vorgetäuscht, und ich war bereit, die Nacht zwischen Börekresten und Bierflaschen zu verbringen, wenn es denn sein musste. Es musste nicht, der Grund meiner Anwesenheit hatte ein Einsehen, und wir fuhren zur alten tante käthe hinter dem Mauerpark. Der Erinnerungen an den Jakobsweg weckende Pfad durch den Mauerpark und die verschlungenen Wege nach Wedding mussten per Pedes zurückgelegt werden und brachten uns auf die spontane Idee, die in Mitte überhand nehmenden Pferdekutschen hier einzusetzen. Vor unseren Augen entstand eine kleine Mittelstandsfirma, die wir Club-Horse-Shuttle nannten und die ich sofort durch ein Eigenheim, zwei Kinder und einen soliden Rentenvertrag ergänzte. Zumindest an diesem Morgen musste ich mich aber mit einer durchfeierten Nacht und einem Sonnenaufgang im Mauerpark begnügen.

JURI STERNBURG