Das Saxofon meines Feindes ist auch mein Feind

Zwischen Antizionismus und Antizynismus: Der israelische Jazzsaxofonist Gilad Atzmon versucht, die Extreme in sich zu versöhnen

„Früher dachte ich, dass Musik die Menschen zusammenbringen könnte“, schreibt Gilad Atzmon im Vorwort zu seiner aktuellen CD. „Ich habe mich geirrt.“ Es sei ein Fehler gewesen, die Musik als Botschafter zu betrachten, glaubt er heute. „In Wahrheit ist sie die Botschaft.“ So kommt es vielleicht, dass sein neues Album „Refuge“ – zu Deutsch Zufluchtsort – auf den ersten Blick etwas weniger von einem klaren Konzept getragen wirkt als seine Vorgänger, die ebenfalls programmatische Titel wie „Exile“ oder „Re-Arranging the 21st Century“ trugen. Klar, noch immer hören seine Stücke auf Namen wie „Autumn in Bagdad“ oder „Just Another Prayer for Peace“. Aber der politische Fingerzeig kommt eher beiläufig daher.

Wenn man sich mit Gilad Atzmon unterhält, landet man allerdings unweigerlich beim Nahostkonflikt. Dann kann er sehr polemisch werden und sich über jede politische Korrektheitsregel hinwegsetzen. Denn für ihn ist Israel, sein Geburtsland, schlicht ein völkischer, ja faschistischer Staat, den Gazastreifen nennt er schon mal ein „Konzentrationslager“. Gilad Atzmon steht so sehr aufseiten der Palästinenser, dass er deren Recht auf Rückkehr vorbehaltlos unterstützt, während er Israel den Untergang wünscht. „Israel ist doch nur ein Staat, Palästina ein Land. Und so, wie die Sowjetunion nicht von Dauer war, aber Russland schon, wird es auch Israel ergehen“, ist er überzeugt.

Keine Frage, Gilad Atzmon ist eine Provokation, wobei er auch gerne mal absichtlich missverstanden wird. So musste er schon mehrmals erklären, dass er weder den Holocaust infrage stelle noch etwas gegen Juden habe. „Ich habe noch nie einen Juden aufgrund seiner Religion kritisiert. Ich kritisiere nur den Zionismus“, verteidigt er sich. Doch seine Gegner überzeugt das nicht, und so flüchtet er sich in böse Scherze: „Früher wurden Leute, die keine Juden mochten, als Antisemiten bezeichnet. Heute meint man damit Leute, die von proisraelischen Juden nicht gemocht werden“, spottet er.

Verstehen kann man seine Wut wohl nur, wenn man seinen Werdegang kennt. Aufgewachsen in einer rechten israelischen Familie, war er 1982 als Wehrpflichtiger im Libanonkrieg im Einsatz. Danach wandelte er sich zum glühenden Antizionisten. Dass er noch heute die Schriften rechter und rechtsextremer Israel-Hardliner liest, von Alan Dershovitz bis Benny Alon, dürfte nicht dazu beitragen, die Dinge etwas milder zu beurteilen.

Gilad Atzmon ist ein wütender Moralist, der in seinem Furor oft weit über das Ziel hinausschießt. Das überdeckt, was für ein hervorragender Musiker er ist; ein Jazzsaxofonist mit einer Vorliebe für elegische, nur manchmal schrille Töne. Natürlich, seine Haltung schlägt auch auf seine Musik durch. Das fängt schon an mit dem Namen seiner Band, dem Orient House Ensemble, benannt nach dem Exhauptquartier der PLO in Ostjerusalem. Auf seinem Album „Exile“, das 2002 entstand, schlug die politische Botschaft besonders deutlich durch. Da nahm er bekannte israelische Melodien, um sie orientalisch zu verfremden und zu „arabisieren“. Geprägt ist er allerdings von den Großen des US-Jazz, vom Bebopbegründer Charlie Parker, von Duke Ellington oder John Coltrane. Wie sie improvisiert er gerne über bekannte Themen, wobei sich in sein kühles Saxofonspiel öfters mal eine Spur nahöstlicher Folklore verirrt.

Es ist vermutlich gut, dass Gilad Atzmon zu seinen Songs keine Texte schreibt, sie könnten allzu plakativ werden – so wie seine beiden Roman, in denen er Israels Ende herbeifantasierte oder sich über zionistische Verschwörungen lustig machte und die von einem eher grobschlächtigen Humor zeugen.

Nach Israel wolle er erst wieder zurückkehren, wenn das Land wieder Palästina heiße, behauptet Gilad Atzmon, der seit langem in London lebt. Außerdem, fürchtet er, könnte er ja verhaftet werden, wenn er am Flughafen in Tel Aviv aussteige. Noch schlimmer wäre es allerdings, wenn man ihn einfach laufen ließe, gesteht er. „Immerhin stelle ich das Existenzrecht Israels infrage und verteidige die Hamas!“ So viel Selbstironie hat er sich immerhin bewahrt.

DANIEL BAX

Tour: 9. 3. Herne, 10. 3. Karlsruhe, 13. 3. Saarwellingen, 14. 3. Künzelsau, 15. 3. Tübingen, 17. 3. Wien, 18. 3. München