NACH DEM EINMARSCH IN DEN IRAK MUSS ANKARA ANNÄHERUNG SUCHEN
: Zum Erfolg verdammt

In der Türkei wird derzeit heftig darüber gestritten, ob der achttägige Einmarsch in den Nordirak ein Erfolg war oder nicht. Die Diskussion orientiert sich aber wegen der Verbohrtheit der Opposition an völlig falschen Fragen. Es geht nicht darum, ob die Armee weit genug marschiert ist und genügend Feinde getötet hat. Wenn der Einmarsch überhaupt zu rechtfertigen ist, dann nur, wenn dadurch neue politische Türen geöffnet wurden.

Genau das entscheidet sich bei dem gegenwärtigen Besuch des irakischen Staatspräsidenten Dschelal Talabani in Ankara. Die türkische Regierung hat lange gezögert, Talabani einzuladen. Vielleicht musste man erst einmal Stärke zeigen, um dann diplomatisch auf die Kurden im Irak zugehen zu können. Und vielleicht bedurfte es tatsächlich erst der militärischen Demonstration, um zu zeigen, dass die USA die türkische Armee zumindest an einem begrenzten Einmarsch nicht hindern würde, damit die irakischen Kurdenführer sich bereit fanden, ernsthaft über eine Kooperation mit der Türkei gegen die PKK-Guerilla zu sprechen.

Mit anderen Worten, die Operation „Sonne“ war dann ein Erfolg, wenn sie dazu beiträgt, zukünftige Todesopfer zu verhindern. Das geht nur, wenn in der Kurdenfrage endlich nach politischen Lösungen gesucht wird. Wenn die Gespräche mit Talabani erfolgreich sind, ist ein Anfang gemacht. Eine Normalisierung der Beziehungen zu den Kurden im Nordirak wird auch dazu beitragen, die kurdische Minderheit im eigenen Land endlich als solche wahrzunehmen und deren Forderungen anzuhören. Hat man sich erst einmal auf normale Beziehungen zu der kurdischen Autonomieregierung im Nordirak eingelassen, gibt es die Hoffnung, dass auch innerhalb der Türkei weniger verkrampft und komplexbeladen über neue politische Lösungen geredet wird.

Will die türkische Regierung verhindern, dass das Land längerfristig in einen Bürgerkrieg abgleitet, ist sie im Nordirak zum Erfolg verdammt. Auch deshalb ist der Besuch von Talabani so wichtig und hoffentlich mehr als nur der Austausch diplomatischer Floskeln. JÜRGEN GOTTSCHLICH