Herthaner verstehen die Welt nicht mehr

Der Trainer der Hertha, Lucien Favre, muss sich nach einem Ausraster am Spielfeldrand das 1:1 seiner Mannschaft in Dortmund zum Teil von der Tribüne anschauen. Seine Strafversetzung durch den Schiedsrichter passt bestens in die Choreografie dieses Spiels voller Missverständnisse

Borussia Dortmund – Hertha BSC 1:1 (1:0)

Spieler: Drobny, von Bergen, Chahed (gelb, 70.), Simunic, Fathi, Kacar, Skacel (gelb, 88.), Ebert (ab 89. Piszczek), Lustenberger (ab 66. Mineiro), Pantelic (ab 86. Okoronkwo), Raffael (gelb, 73.)

Tore: S. Kehl (45. Minute), M. Pantelic (50. Minute)

Zuschauer: 70.000

Zitat des Tages: „Manchmal bin ich auch Schiedsrichter im Training und mache viele Fehler“: Hertha-Trainer Lucien Favre zu seiner Verbannung auf die Tribüne.

Lucien Favre ging mit einem Lächeln in die Kabine. Der Trainer von Hertha BSC war dann erst einmal nicht mehr zu sehen, aber er wird nicht mehr gelächelt haben. Zumindest hatte er es zunächst als ungerecht empfunden, die letzten 35 Minuten beim 1:1 in Dortmund von der Tribüne sehen zu müssen.

Doch Herthas Pressesprecher Hans-Georg Felder beruhigte den Trainer. Er führte ihn aus der eigenen in die Schiedsrichterkabine – und schwupps, lächelte Lucien Favre wieder. Ja, ja, der Trainer sei jetzt da hineingegangen, um sich zu entschuldigen, tuschelte Manager Dieter Hoeneß und bedeutete, dass es dann aber auch gut sei. War es aber nicht, denn die mit Abstand spektakulärsten drei Minuten des Freitagabends sollten noch ausgiebig beleuchtet werden.

Es ging schon stramm auf Mitternacht zu, als Schiedsrichter Babak Rafati aufklärte, warum er Marko Pantelic erst die rote Karte gezeigt hatte, sich dann bei ihm per Handschlag entschuldigte, den Platzverweis zurücknahm und Favre auf die Tribüne schickte. Es sei „ein Missverständnis zwischen dem vierten Mann und meiner Wenigkeit“ gewesen, sagte Rafati. Der vierte Offizielle, Sascha Thielert, habe ihm mitgeteilt, dass ein Berliner den Assistenten Holger Henschel „angefasst“ und ihm „den Vogel gezeigt“ habe. Auch das stellte sich als Missverständnis heraus, denn der Trainer hatte keinen Vogel gezeigt, sondern mit den Fingern eine Brille vor seinen Augen gebastelt. Rafati dachte, der vierte Schiedsrichter habe Pantelic dieses Vergehens bezichtigt – dabei hatte jener Favre gemeint. Der Schweizer Trainer rechtfertigte sich: „Ich habe nur gesagt: Das war ein Foul an Pantelic.“

Am Wochenende rückte er von dieser Darstellung ab, gestand seinen Fehler ein und entschuldigte sich noch einmal. Vielleicht wird ihm das einen kleinen Bonus bringen, wenn die Angelegenheit vor dem Kontrollausschuss des DFB zur Verhandlung kommt. Rafati äußerte zwar in engen Grenzen Verständnis für den Ausbruch des Trainers, der in einer Kontersituation das 2:1 für den BVB gefürchtet hatte, fertigte aber trotzdem einen Sonderbericht an. Im schlimmsten Fall muss Favre weitere Spiele von der Tribüne aus verfolgen.

Der Wirrwarr in den Minuten 53 bis 55 passte zu einer Partie, die als Spiel der Missverständnisse verstanden werden durfte. Es begann schon damit, dass knapp 70.000 Zuschauer in der Erwartung gekommen waren, unterhaltsamen, guten, spannenden Fußball zu sehen. Sie wurden enttäuscht, weil sich auf dem Platz die Missverständnisse als Regelfall erwiesen. „Wir hatten viele Ballverluste und viele technische Fehler“, sagte Favre – der im Gegensatz zu seinem Dortmunder Kollegen Thomas Doll mit dem Unentschieden „gut leben“ konnte. Favres Spieler fügten aber an, dass es nicht so schwer gewesen wäre, aus dem fünften Spiel in Serie ohne Niederlage zwei Punkte mehr mitzunehmen. „Etwas mehr Mut“ sei dafür nötig gewesen, sagte Abwehrchef Josip Simunic.

Warum sie ihre spielerische und taktische Überlegenheit nicht mit mehr Risiko und Zielstrebigkeit anreicherten, blieb eine unzureichend beantwortete Frage. Vielleicht habe sie die Kulisse beeindruckt, sagte Verteidiger Steve von Bergen. Wenn, dann kann es nur die Anzahl der Zuschauer gewesen sein, denn die Stimmung war so bescheiden wie das langweilige Spiel.

Dem Ausgleichstreffer von Pantelic (50. Minute) war die Dortmunder Führung durch Sebastian Kehl vorausgegangen (45.), der freistehend aus fünf Metern einköpfte. Klarer Fall von Missverständnis in der Hertha-Abwehr. MARCUS BARK