Lieber Barnabas!

RBS - Sein geheimes Tagebuch (3): Die Aufzeichnungen des legendären Hamburger Innensenators a. D., Ronald Barnabas Schill, weltexklusiv in der taz nord. Heute: 1999 – ein Politiker ist geboren

1. Mai

Lieber Barnabas, du musst dich endlich ran halten! Dein Verhältnis zur Arbeit ist ungesund. Du kannst nicht jede Akte in W[iedervorlage] parken. Das ganze Jahr schon! Und wem schadet es? Dir und deinem gr. Plan. Du hast doch noch Ziele! Wenn du nicht bald wieder ins F[ernsehen] kommst, haben die einfachen Leute dich bald vergessen. Dann wird es nichts mit Senator Schill. Morgen gehst du hin und nimmst dir die oberste Akte aus W.[iedervorlage] und erledigst sie zügig.

2. Mai

Heute H[erpes] sehr stark. So nicht. Musste mich bis einschließlich Freitag krankschreiben lassen.

5. Mai

Gutes Mittel gg. H[erpes]: Stelle mir jetzt vor, Angeklagter wäre H. Erleichterung groß! WEGMACHEN, WEGMACHEN, WEGMACHEN! Jäger. Dienstag gehe ich wieder hin.

11. Mai

Lieber Barnabas, muss dir schnell schreiben, was ich in W. gefunden habe. War nämlich heute wirklich da. Und da lag die Akte von B. Es ist wie ein Fingerzeig: Einer von diesen Chaoten, die das Schanzenviertel verschandelt haben, ein Verbrecher. Leider nicht ordnungsgemäß vorbestraft. Ist Polizisten frech gekommen. Werde ihm 18 Monate geben, schließlich ist der 18. ja V[erhandlungstag].

12. Mai

In Eile. Schreibe schon jetzt am Urteil, es wird eine richtige Grundsatzrede. Habe auch schon P[resse] bestellt für Di[enstag]. Unglaublicher Stress, weil auch Saal-Schutz organisiert werden musste. 10 Beamte sind fest versprochen. Feile auch noch am Kernsatz.

18. Mai

Lasse B. noch zappeln bis morgen. Dafür heute 3 andere für 3 Tage sofort aus dem Verkehr gezogen. Ordnungshaft. Sehr befriedigend! Hatte vorsichtshalber nur einen Jäger[meister] intus, was gut war, weil ich rechtzeitig die Saal-Schutzmänner rufen musste. Kamen dann aufs Zeichen einmarschiert. Alle wild durcheinander, nur ich: breites Lächeln. Habe meinen Kernsatz auswendig gesagt und dabei die Presseleute fest angeguckt. Hieß: „Wer Chaoten und Verbrecher über Polizeibeamte triumphieren lässt, sie an Diensthandlungen hindert, tritt den Rechtsstaat mit Füßen.“ Applaus von den Polizisten, denen ich zugenickt habe.

19. Mai

Bild, Mopo, Abendblatt – lang und breit, deshalb heute noch voller, Linkspostille auch da und endlich Fernsehen. War deshalb sehr versöhnlich, habe B. 3 Monate geschenkt. Wermutstropfen: Staatsanwalt auch im Fernsehen. Hat einfach in meine laufenden Kameras hinein seine Rev[ision] angekündigt. War in Versuchung, der Presse zu stecken, dass ich bald selbst Senator sein will und mich deshalb überhaupt nicht kümmert, was die Behörde sagt. Habe es aber gelassen. Das bleibt noch unser Geheimnis, Barnabas.

28. Mai

Woher können die das mit Jäger[meister] wissen? Denn: An jedem zweiten Laternenpfahl hängt ein Zettel mit meinem Bild, und jetzt pass auf, du glaubst es nicht: In der Hand eine Fl.[asche] Jäger[meister]. Habe mich zuerst furchtbar aufgeregt. Andererseits: Ist eigentlich gut, wenn die einfachen Leute erfahren, dass ihr Schnaps auch mein Schnaps ist, so wie ihre Gedanken. Als ich das verstanden hatte, war das wie ein Schauer, der mich ergriffen hat. Überall mein Gesicht auf Plakaten – ganz ohne H[erpes]! Das ist es, Barnabas. Das ist deine wahre Berufung.

Lesen Sie morgen: Das Jahr 2001 – Schills Triumph