Frauenaktivistin wieder aufgetaucht

Waris Dirie, Aktivistin gegen die Beschneidung von Frauen, war drei Tage in Brüssel unauffindbar, was heftige Spekulationen in den Medien auslöste. Diries Version: Sie sei von einem Taxifahrer gefangen gehalten worden, der sie vergewaltigen wollte

AUS WIEN RALF LEONHARD

Fast drei Tage war sie in Brüssel verschollen, bevor sie am vergangenen Freitag wieder auftauchte. Unfall? Entführung? Selbstmord? Die Spekulationen über das unerklärliche Verschwinden des ehemaligen Models Waris Dirie hatten keine Variante ausgelassen. Die gebürtige Somalierin mit österreichischem Pass trug seither nur wenig zur Aufklärung ihres mysteriösen Verschwindens bei. Sie habe sich verirrt und in Hotellobbys übernachtet, fasste die belgische Polizei die ersten Aussagen der prominenten Schönheit zusammen. Offensichtlich sollten die wahren Hintergründe verschleiert werden. Inzwischen sprechen ihr Manager und ihr Anwalt allerdings von einem Verbrechen.

Waris Dirie genießt weltweite Prominenz, seit sie in ihrem autobiografischen Buch „Wüstenblume“ über ihre Kindheit in einem somalischen Nomadenstamm und ihre Genitalverstümmelung berichtete. Im Alter von fünf Jahren wurden ihre Geschlechtsteile mit einer rostigen Rasierklinge beschnitten. Als Hausangestellte landete sie später bei einem Onkel in London und wurde schließlich von einem Fotografen als Model entdeckt.

Seit zehn Jahren macht die 43-jährige Nomadentochter auch gegen weibliche Genitalverstümmelung bei Migrantenfamilien in Europa und den USA mobil. Die UNO ernannte sie nach ihren Bekenntnissen zur Sonderbotschafterin gegen Genitalverstümmelung. In dieser Eigenschaft war Dirie letzte Woche auch in Brüssel unterwegs. Anlässlich des Weltfrauentags sollte sie eine Auszeichnung entgegennehmen und mit US-Außenministerin Condoleezza Rice zusammentreffen. Doch nach einem Discobesuch am Dienstag tauchte sie nicht mehr in ihrem Hotel auf. Augenzeugen berichteten, sie sei in ein Taxi gestiegen.

Ihr Wiener Manager Walter Lutschinger erklärte der Presse später, sein Schützling habe das Hotel nicht gefunden und zu randalieren begonnen, als die Polizei bei der Suche nach der richtigen Herberge helfen wollte. Dirie sei aus dem Streifenwagen gesprungen und abgetaucht. Erst am Freitag wurde sie auf dem Grand’ Place, dem mittelalterlichen Hauptplatz von Brüssel, in Begleitung eines Mannes von einem Polizisten entdeckt. Sie hatte weder Geld noch Pass oder Handy bei sich. Die österreichische Boulevardzeitung Österreich wusste gleich eine Erklärung: „Waris Dirie war schon oft nächtelang abgängig, weil sie immer wieder den Kampf gegen ihr Alkoholproblem verliert.“ Grafisch belegt wird diese Deutung durch ein Foto, auf dem die lockige Afrikanerin ein Wasserglas an die Lippen führt.

Diries Anwalt Gerald Ganzger versicherte hingegen der Austria Presse Agentur (APA), seine Mandantin sei von einem Taxifahrer zwei Tage lang gefangen gehalten und sexuell bedrängt worden. Dirie sei mit diesem Taxifahrer stundenlang vergebens unterwegs gewesen. Schließlich habe der Mann ihr angeboten, in seinem Haus am Stadtrand zu nächtigen. Doch dort wollte er sich den Fahrpreis in Form von Sex auszahlen lassen. Dirie soll sich dank regelmäßigen Kickboxtrainings erfolgreich gewehrt haben, was gerichtsmedizinisch festgestellte Kratzspuren an Rücken und Beinen belegen. Nach der gescheiterten Vergewaltigung habe der Chauffeur das Exmodel zwei Tage lang ohne Nahrung festgehalten und schließlich ins Stadtzentrum zurückgebracht. Die Ungereimtheiten erklärte ihr Manager Lutschinger mit ihrem Schockzustand und dem Kindheitstrauma.