Scannen verboten

Das automatische Scannen und Überprüfen von Nummernschildern war bislang in 8 von 16 Ländern laut Polizeigesetz möglich: Neben Hessen und Schleswig-Holstein (schwarz) betraf dies Bayern, Bremen, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz (grau). Baden-Württemberg wollte die Methode bald erlauben. In anderen Ländern sind die Regelungen formal noch nicht verfassungswidrig. Nach dem Urteil müssen sie die Gesetze anpassen.

AUS KARLSRUHE CHRISTIAN RATH

Die Gesetze zur automatischen Kfz-Kennzeichenüberwachung in Hessen und Schleswig-Holstein sind nichtig. Sie sind vor allem zu unbestimmt. Wenn die Landtage ausführlichere Regelungen beschließen, ist die Praxis der Nummernschild-Abfrage auch in Zukunft möglich. Flächendeckende oder anlasslose Fahndungen „ins Blaue hinein“ hat das Verfassungsgericht zwar ausgeschlossen. Stichproben seien aber möglich.

Beim Kennzeichenabgleich scannt eine Polizeikamera am Straßenrand automatisch die Nummernschilder aller vorbeifahrenden Fahrzeuge. Binnen Sekundenbruchteilen werden diese dann mit den im Fahndungscomputer gespeicherten Kennzeichen abgeglichen. Meist wird die Maßnahme im Zusammenhang mit einer Kontrollstelle durchgeführt, sodass bei einem „Treffer“ das jeweilige Fahrzeug sofort von Polizisten kontrolliert werden kann. Möglich ist aber auch die Anfertigung von Bewegungsbildern. Dann wird registriert, dass das Fahrzeug zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort unterwegs war. Spektakuläre Erfolge konnten mit dieser Maßnahme nicht erzielt werden. In Hessen wurden in den ersten Monaten 2007 rund eine Million Kennzeichen abgeglichen, dabei gab es 300 Treffer – meist Halter, die lediglich die Kfz-Haftpflichtversicherung nicht bezahlt hatten.

Laut Gesetz dürfen die Kennzeichen „mit dem Fahndungsbestand“ abgeglichen werden. Das ist dem Verfassungsgericht zu unbestimmt, der Begriff „Fahndungsbestand“ sei nirgends definiert. Der Bürger könne nicht klar erkennen, zu welchem Zweck die Kennzeichen kontrolliert werden. Außerdem sei die Regelung zu weit, sie erlaube Ermittlungen „ins Blaue hinein“, kritisierte gestern Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier. Einschüchterungseffekte durch ein „Gefühl des Überwachtseins“ müssten vermieden werden. Ein Verbot „flächendeckender“ Kontrollen fand sich nur in Schleswig-Holstein.

Das Verfassungsgericht hat die Nummernschild-Fahndung aber nicht generell verboten. Möglich wäre nach der gestrigen Entscheidung zum Beispiel die gezielte Fahndung im Grenzgebiet oder an Kriminalitätsschwerpunkten. Auch eine Einschränkung der Fahndungszwecke auf bestimmte Delikte wäre zulässig. Dies müssten nicht einmal schwere Straftaten sein, möglich wäre auch die gezielte Fahndung nach gestohlenen Autos oder Versicherungssündern. Wenn dies ohne konkreten Anlass geschieht, müsse sich der Staat aber auf Stichproben beschränken, so der Erste Senat des Verfassungsgerichts.

Geklagt hatten drei autofahrende Datenschützer aus Hessen und Schleswig-Holstein. Deshalb wurden jetzt nur diese beiden Landesgesetze geprüft. Ähnliche Regelungen gibt es aber in halb Deutschland, konkret in Bayern, Bremen, Brandenburg, Hamburg, MeckPomm und Rheinland-Pfalz. Nach Ansicht von Klägeranwalt Udo Kauß dürfte wohl nur die eng und präzise formulierte Brandenburger Regelung den Anforderungen des Grundgesetzes genügen.

Die Kläger haben aber nicht alle Ziele erreicht. Anders als von ihnen angenommen, liegt nach Karlsruher Ansicht kein Grundrechtseingriff vor, wenn das Kennzeichen lediglich gescannt, abgeglichen und sofort wieder gelöscht wird. Einen Eingriff, der eine gesetzliche Grundlage braucht, sehen die Richter erst dann, wenn ein Treffer gespeichert wird.

Außerdem wollten die Kläger vom Verfassungsgericht ein neues Grundrecht haben, das „Recht, sich frei und ohne polizeiliche Kontrolle im öffentlichen Raum zu bewegen“. Doch anders als bei der Online-Durchsuchung, als Karlsruhe ein spezielles Computer-Grundrecht mit hohen Anforderungen erfand, griff das Gericht diesmal nur auf das seit 1983 bekannte Recht auf informationelle Selbstbestimmung zurück.

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