Rache für Laurenz Meyer

Raffke-Abgeordnete oder Politiker mit legalem Zuverdienst? Vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg wird heute darüber gestritten, wie Parlamentarier mit Nebentätigkeiten umgehen müssen

VON KAI SCHÖNEBERG

Volksvertreter sollen mitten im Leben stehen, einem ordentlichen Job nachgehen, nicht lebenslang Partei-Apparatschiks sein. So weit die Theorie. Das echte Politikerdasein ist verzwickter: Einige Parlamentarier bekommen sogar Geld aus der Privatwirtschaft, ohne dafür zu schuften. Als Ende des Jahres 2004 die Sache mit den Nebeneinkünften der niedersächsischen SPD-Landtagsabgeordneten Ingolf Viereck und Hans-Hermann Wendhausen aufflog, hatten gerade CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer und der Vorsitzende der CDU-Sozialausschüsse Hermann-Josef Arentz ihre Ämter räumen müssen: Offenbar hatten sie auf der Payroll von RWE gestanden, aber nicht für den Energiekonzern gearbeitet.

Vielleicht war es Rache für Parteifreund Meyer, dass Christian Wulff, CDU-Ministerpräsident und Aufsichtsratmitglied bei VW, damals vom Konzern eine Liste derjenigen VW-Mitarbeiter verlangte, die auch in einem Parlament sitzen. Das Nachhaken erwies sich als berechtigt: Wofür erhielten die Hinterbänkler Viereck und Wendhausen eigentlich noch weiter Bezüge von ihrem einstigen Arbeitgeber VW?

Um verdeckte Lobbyarbeit zu vermeiden, verbietet Paragraf 27 des niedersächsischen Abgeordnetengesetzes Nebenjobs ohne Gegenleistung. Wenn heute vor dem Lüneburger Oberverwaltungsgericht das Berufungsverfahren für Viereck und Wendhausen startet, schreiben die beiden Rechts- und Parlamentsgeschichte: Erstmals werden Abgeordnete in Deutschland aufgefordert, Geld aus Nebentätigkeiten zurückzuzahlen. Und das nun auch schon in der zweiten Instanz.

Es geht um 766.000 Euro, die Viereck und Wendhausen an die Staatskasse abführen sollen. „Das ist ja auch eine Existenzfrage“, sagte ihr Anwalt Peter Rabe über die zwei Sozialdemokraten, die inzwischen aus dem Landtag ausgeschieden sind. Die Summe errechnet sich aus den Bezügen, die sie als ehemalige Mitarbeiter von VW bekommen hatten, obwohl sie seit 1994 im Landtag saßen. Wahrscheinlich haben sich Viereck und Wendhausen nichts dabei gedacht – ihre Nebenjobs hatten sie sogar angemeldet. Eine VW-Richtlinie von 1990, die Mitarbeitern nach dem Einstieg ins Parlament automatisch weiter Bezüge sicherte, wurde jedoch nach Bekanntwerden der Geschichte um die „Raffke“-Politiker umgehend gestrichen.

Auf der Telefonliste des Unternehmens tauchten „V und W“ nicht auf. Der Wolfsburger Ingolf Viereck, seit 1990 kaufmännischer Angestellter bei Europas größtem Autobauer, behauptete einmal, er „berate den Konzern auf Managerebene, wie sich VW bei der lokalen Sportförderung positioniert“. Dann erklärte er, als Abgeordneter „Fahrzeugvermittlungen in dreistelliger Größenordnung mit einem Geschäftsvolumen von 4,5 bis 5 Millionen Euro“ getätigt zu haben. In der Tat soll die „Autohandlung Viereck“ Parlamentskollegen zu Vorzugspreisen mit Passats und Golfs versorgt haben. Und den heutigen Bundesumweltminister Sigmar Gabriel will Viereck überredet haben, von BMW auf Audi umzusteigen.

Dagegen rechtfertigte Hans-Hermann Wendhausen aus Helmstedt, zuletzt technischer Angestellter bei VW, den Weiterbezug seines Gehalts mit Weiterbildungen und Kongressen, die er absolviert haben will, um sich für die Rückkehr ins Unternehmen fit zu halten. Zuzüglich zu damals rund 5.400 Euro Diäten erhielt er wie Viereck etwa 3.000 Euro monatlich.

Der damalige Landtagspräsident Jürgen Gansäuer (CDU) fand das nicht in Ordnung – und bekam im November 2005 Recht vom Braunschweiger Verwaltungsgericht: Den Bezügen habe „keine angemessene Tätigkeit“ entgegen gestanden. Anwalt Rabe will die Lüneburger Richter nun davon überzeugen, dass das Abgeordnetengesetz verfassungswidrig sei, weil es gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße: Freiberufler im Parlament hätten viel mehr Möglichkeiten, einen Nebenverdienst zu kassieren, als Angestellte.