„Schlechte Pflege wird belohnt“

CLAUS FUSSEK, 55, ist Sozialpädagoge und einer der profiliertesten deutschen Pflegekritiker. Seit mehr als 30 Jahren setzt er sich für menschenwürdige Lebensbedingungen Pflegebedürftiger ein. Er leitet die Vereinigung Integrationsförderung e. V. und hat gerade mit Gottlob Schober das Buch „Im Netz der Pflegemafia“ veröffentlicht.

taz: Herr Fussek, wird die Pflegereform die Situation der Pflegebedürftigen verbessern?

Claus Fussek: Natürlich ist auch eine noch so kleine Verbesserung vor Ort ein Gewinn. Aber wenn man die riesengroßen Probleme sieht, die gerade Menschen mit Demenz haben, dann habe ich den Eindruck, dass hier versucht wird, mit einem Gartenschlauch einen Waldbrand zu löschen.

Was fehlt?

Zum einen ist es schrecklich, wie leidenschaftslos diese Diskussion geführt wird. Alle tauschen längst bekannte Positionen immer wieder aus, ohne dass Entscheidendes passiert. Aber die alten Menschen haben keine Zeit mehr zu warten! Seit mehr als zehn Jahren fordern wir zum Beispiel die Einführung eines Pflegebegriffs …

den auch die Gesetzesreform nicht vorsieht.

Dabei müsste dieser Begriff das Herzstück der Reform sein! Man muss die Bedürfnisse der Menschen miteinbeziehen, auch wenn es dabei nicht um pflegerische Tätigkeiten geht. Zuwendung, Beaufsichtigung, Anregung, Therapie müssen berücksichtigt werden. Wir brauchen die ganzheitliche Pflege. Aber die sieht die Reform nicht vor.

Reicht das Geld dafür nicht?

Es ist doch genug Geld im System, aber es wird falsch eingesetzt, und niemand traut sich an den notwendigen radikalen Umbau. Warum schafft man die Pflegestufen nicht einfach ab? Niemand will nach Minuten gepflegt werden, und niemand will so arbeiten. Wenn ich für die Pflegestufe III, dem „Pflegen in die Betten“, mehr Geld bekomme, als wenn ich gut pflege und helfe, dass der Patient möglichst selbstständig bleibt, wird schlechte Pflege belohnt und gute bestraft. Warum legt man nicht Krankenkassen und Pflegekassen zusammen? Ein alter Mensch, mit dem Krankengymnastik oder Bewegungstherapie gemacht wird, hat die Chance, dass er nicht oder zumindest später pflegebedürftig wird oder sich seine Situation wieder bessert. Aber die Krankenkassen zahlen das oft nicht, um ihre Beitragssätze stabil zu halten.

Eine Ihrer Forderungen zumindest löst die Reform ein: Pflegeheime sollen künftig einmal im Jahr unangemeldet kontrolliert werden, die Ergebnisse werden veröffentlicht.

Ja, das ist die Richtung, in die es gehen muss. Es gibt ja zahlreiche gut geführte Heime, die mit der Veröffentlichung kein Problem haben. Ich hoffe, dass es zu einem Stück Marktbereinigung kommt. Aber die beste Kontrolle sind natürlich kritische Angehörige, die sich kümmern.

In Ihrem neuen Buch „Im Netz der Pflegmafia“ schildern Sie, wie alte Menschen auf die Toilette müssen und die Pflegerin sagt: „Machen Sie in die Windel, ich mache das später sauber.“ Ein Bewohner, der häufig aufsteht und Gefahr läuft, zu stürzen, wird an einen Stuhl gefesselt, wenn er schreit, wird er medikamentös ruhiggestellt. Die Zustände sind schlimm, sind sie auch wirklich mafiös?

Mafiöse Strukturen heißt für mich: Man verdient Geld an dem Elend, alle wissen Bescheid, und niemand tut etwas dagegen. Genauso ist es in der Pflege. Rettungssanitäter beklagen, dass sie alte Menschen in erbärmlichem Zustand vom Pflegeheim ins Krankenhaus bringen, sich aber nicht beschweren, weil sie dann nicht mehr gerufen werden. In den Krankenhäusern schweigt man über wundgelegene Patienten aus dem Pflegeheim, weil sie sonst von dort keine Patienten mehr kriegen. Im Krankenhaus ist es genau umgekehrt. Das Ganze ist ein riesiges, völlig intransparentes Geschäft. INTERVIEW: SABINE AM ORDE