„Wir bleiben in der Nische“

Nachhaltiges Reisen liegt im Trend, das zeigen auch die zweistelligen Zuwachsraten alternativer Veranstalter. Ein Gespräch mit Rolf Pfeifer, dem Geschäftsführer des Forums Anders Reisen

ROLF PFEIFER, 43, ist seit 2002 Geschäftsführer des Forum Anders Reisen (FAR) mit Sitz in Freiburg. Der umtriebige Lobbyist für nachhaltiges, klimaschonendes Reisen ist über Umwege ins Tourismusgeschäft gekommen. Er machte eine Ausbildung zum Chemisch-Technischen Assistenten, studierte Feinwerktechnik und arbeitete am Freiburger Öko-Institut. Später war er Mitbegründer des Reiseveranstalters aventoura und der Klimaschutzinitiative atmosfair. Im Jahr 1998 schlossen sich 12 Veranstalter aus der alternativen Reiseszene zum Netzwerk FAR zusammen, heute zählt der Unternehmensverband von kleinen und mittelständischen Veranstaltern 150 Mitglieder. Im Jahr 2006 erwirtschafteten die beteiligten Unternehmen mit 110.000 Kunden einen Gesamtumsatz von etwa 110 Millionen Euro. Alle FAR-Mitglieder verpflichten sich mit einem Kriterienkatalog dem nachhaltigen Tourismus. Heikelster Punkt ist das Flugkriterium: keine Flüge in Zielgebiete unter einer Entfernung von 700 km, keine Flüge über 700 km bis 2.000 km mit einer Aufenthaltsdauer unter 8 Tagen, keine Flüge über 2.000 km mit einem Aufenthalt von weniger als 14 Tagen. GE

www.forumandersreisen.de

INTERVIEW GÜNTER ERMLICH

taz: Vor zehn Jahren gründeten 12 Veranstalter aus der alternativen Szene auf dem Reisepavillon in Hannover das Forum Anders Reisen. Verdammt lang her.

Rolf Pfeifer: Viele unserer Veranstalter sind Globetrotter gewesen, oft Quereinsteiger. Viele hatten lange im Ausland gelebt und eine hohe Identifikation mit „ihrem“ Land entwickelt. Dann kamen sie mit der Idee zurück: Tourismus, damit kann ich mich selbstständig machen wie auch den Einheimischen helfen.

Wer zum Beispiel?

Volker Häring von China by Bike ist studierter Sinologe und lebte ein paar Jahre in China. Oder Simone Probost von Inti-Tours, die sieben Jahre als Entwicklungshelferin in Bolivien gearbeitet hat. Oder Frank Schulz von schulz aktiv reisen, der in Mali aufwuchs. Die meisten unserer Veranstalter sind Spezialisten, die ihre Zielregion bestens kennen.

Was ist anders bei den Reisen Ihrer Mitglieder?

Einerseits schauen wir auf die soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit bei unseren Reisen, andererseits ist der Erholungs- und Erlebniswert besonders intensiv, weil wir versuchen, unseren Gästen die Destinationen möglichst realitätsnah näherzubringen.

Die FAR-Mitglieder verpflichten sich mit einem ausführlichen Kriterienkatalog dem nachhaltigen Tourismus. Worum geht es dabei?

Dieser Tourismus soll langfristig ökologisch tragbar, wirtschaftlich machbar, ethisch und sozial gerecht sein. Es geht um Transportmittel und Unterkunft, Verpflegung und Förderung lokaler Wirtschaftsstrukturen. Dieser Kriterienkatalog darf nicht als fest zementiertes Gesetzeswerk verstanden werden. Vielmehr geht es um ein Leitbild, auf das alle Veranstalter des Forum zusteuern. Deshalb gibt es im Forum niemand, der den Kriterienkatalog zu 100 Prozent einhält.

Wie bitte?

Einige unserer Mitglieder verstoßen zum Beispiel eindeutig gegen das Flugkriterium. Wie ein Veranstalter, der eine 12-tägige Azorenreise anbietet. Denn unseren Kriterien zufolge dürfen keine Flüge über 2.000 Kilometer mit weniger als 14 Tagen Aufenthalt angeboten werden. Mitbewerber außerhalb des Forums bieten diese Reisen mit einer Dauer von 12 Tagen aber an. Sollen wir einem Mitglied, bei dem alle übrigen Reisen dem Kriterienkatalog entsprechen, daraus nun einen Strick drehen? Da kommt die ökonomische Nachhaltigkeit ins Spiel: Was bringt es, wenn 80 Prozent der Kunden abspringen und zum Mitbewerber überlaufen, der sich zu keinerlei Nachhaltigkeitskriterien verpflichtet hat? Natürlich gibt es für Verstöße auch Grenzen.

Was passiert, wenn der Kriterienkatalog zusehends verwässert wird?

Erstens riskiert der Veranstalter die Mitgliedschaft im Verband. Zweitens muss jeder Veranstalter, der das Flugkriterium nicht einhält, für jeden Kunden 50 Prozent des Beitrags an die Klimaschutzinitiative atmosfair zahlen. Wer eine Fernreise macht, verlässt die ökologische Nachhaltigkeit automatisch. Unsere Fernreisen fördern aber die soziale Nachhaltigkeit gleich doppelt: Die lokale Wertschöpfung, also der Teil des Reisepreises, der im Land oder in der Region bleibt, beträgt bei uns 40 bis 60 Prozent. Bei massentouristischen Veranstaltern dürfte dieser Anteil dagegen bei maximal 30 Prozent liegen. Unsere Veranstalter arbeiten mit lokalen Reiseführern und kleinen Unterkunftsbetrieben, die selbstbestimmt über das Geld verfügen können, während massentouristische Anlagen zu 99 Prozent in ausländischer Hand sind und die Einheimischen dort nur als billiges Personal dienen.

Wie sieht der gläserne FAR-Kunde aus?

Das sind Leute mit höherem Bildungsniveau und einem Haushaltseinkommen meist über 2.500 Euro, überdurchschnittlich viele Frauen, vor allem Angehörige der Zielgruppe der Lohas, Lifestyle of Health and Sustainability, also bewusst konsumierende Menschen. Unsere Reisen sind in der Regel teurer als die der TUI, das müssen sie auch sein. Denn die TUI hat ganz andere logistische Strukturen: Es gibt einen Hotel- und einen Flugeinkäufer, die machen große Kontingente, darüber steht ein Konzept zur Gewinnsteuerung. Bei unseren Mitgliedern dagegen rufen die Kunden an und informieren sich. Das ist ein personalintensiver Prozess mit hohem Beratungsaufwand.

Einige Stimmen im Verband kritisieren, dass es beim Forum nur noch um Fragen der Vermarktung gehe und nicht mehr um die Inhalte.

Es ist richtig dass die ganzen Marketinggeschichten wie Internetportal, Reiseperlen-Katolog und Gemeinschaftsmessestand in den vergangenen vier Jahren im Vordergrund standen. Das war nötig. Denn was bringt es, wenn wir nachhaltige Reisen haben, sie aber niemand bucht. Trotzdem haben wir die Nachhaltigkeitsdiskussion intern sehr intensiv weitergeführt und zum Beispiel unseren Leitfaden für die Nachhaltigkeitsberichterstattung erstellt. Mit diesem Instrument wird es uns möglich, diese Nachhaltigkeit, von der wir immer sprechen, auch konkret in Zahlen messbar zu machen. Hier sind wir der Branche schon wieder um Jahre voraus

Aber 60 Prozent aller Forum-Reisen sind doch Flugreisen. Muss das in einem Verband, der nachhaltigen Tourismus propagiert, nicht zum argumentativen Spagat führen?

Das ist durchaus ein Spagat. Ein Veranstalter ist wegen der vielen Flugreisen aus dem Forum ausgetreten. Wir können aber weder dem Veranstalter noch dem Kunden verbieten, nach Indien oder Peru zu fliegen. Trotzdem ist klar, dass Flugreisen per se ökologisch nicht nachhaltig sind. Bei einer Fernreise mit dem Flugzeug emittiere ich 6, 10, 12 Tonnen Kohlendioxid. Deswegen haben wir die Klimaschutzinitiative atmosfair mitgegründet.

Kritiker sprechen von billigem Ablasshandel.

Nee, nee. Wir wollen dem Kunden doch keine Schuld abnehmen, sondern ihm seine Verantwortung klarmachen, welchen Schaden er durchs Fliegen für das Klima anrichtet und damit das Leben nachfolgender Generationen gefährdet. Aber auch atmosfair löst das Problem nicht: Selbst wenn wir 100 Prozent unserer Flüge kompensierten, würden wir das Klima nicht retten.

Wie viele Kunden der FAR-Veranstalter zahlen die freiwillige Klimaabgabe?

Fünf bis zehn Prozent von denen, die eine Reise mit Flug buchen.

Warum schließt man den atmosfair-Beitrag nicht in den Gesamtreisepreis ein?

Bestimmte Veranstalter machen das. Aber damit verfehlt man doch das Ziel. Erstens bezahlt der Kunde eine Leistung, die er vielleicht gar nicht will. Zweitens führt das nicht zu dem notwendigen Bewusstseinswandel. Der Kunde erhält dann nur das Signal: Ich kann ja so weitermachen wie bisher, das Klimaproblem hat der Veranstalter gelöst.

Kurz vor der Internationalen Tourismus-Börse in Berlin sprangen die großen Reiseplayer TUI Deutschland und Thomas Cook auf den Zug der Klimaabgabe.

Sie hatten keine andere Wahl. Das Überraschende war, dass beide unvermittelt hintereinander damit herauskamen. Erst kam Thomas Cook mit seiner Pressemitteilung raus, zwei Stunden später die TUI. Thomas Cook kooperiert mit atmosfair, TUI mit der Organisation myclimate.

Also alles Greenwashing?

Ich würde das nicht so schwarz und weiß malen. Zumindest gehen beide Veranstalter einen ersten Schritt. Die große Gefahr sehe ich darin, dass der Kunde das Signal erhält: Du kannst so weitermachen wie bisher. Du zahlst 2 Euro, wir legen 50 Cent drauf – die letztendlich ja auch der Kunde bezahlt –, dann ist das Klimaproblem gelöst.

Viele Ihrer Mitglieder haben zweistellige Umsatzzuwächse im Jahr. Davon können die großen Veranstalter nur träumen.

Es gibt einen Sättigungsfaktor auf dem massentouristischen Markt. Die Wünsche der Kunden werden immer ausgefallener und anspruchsvoller. Deswegen wandern Kunden in die individualisierten Nischen zu unseren Spezialisten ab. Vor zehn Jahren hätte doch keiner eine Radtour durch China gebucht! Oder die von sechs unserer Veranstalter gemeinsam organisierte Radreise von Athen nach Peking in 175 Tagen. Ein zweiter Punkt: Viele Kunden hüpfen von einem Forum-Veranstalter zum nächsten, wegen der besonderen Qualität werden unsere Reiseprodukte zunehmend zu einer Marke.

Inzwischen ist Ihr Verband zwar schon ein Elefant auf dem nachhaltigen Reisemarkt, aber mit 0,57 Prozent noch eine Mücke beim deutschen Gesamtumsatz. Wo steht das Forum Anders Reisen in zehn Jahren?

Ich möchte weitere Veranstalter für das Forum gewinnen, gerne auch größere, die sich unserem Nachhaltigkeitsideal verpflichtet fühlen. Trotzdem liegt das Potenzial nachhaltiger Reisen bei höchstens fünf bis acht Prozent. Wir bleiben also in einer Nische.