„Wir dürfen nicht aufgeben“

Kontakt mit seinen Landsleuten in Tibet aufzunehmen sei gefährlich, sagt Thondup. Am Telefon werde nur verschlüsselt gesprochen. Der 31-Jährige ist einer von rund 20 Tibetern in Berlin. Seit vier Jahren lebt er in Berlin

THONDUP, 31, floh mit sechs Jahren von Tibet nach Indien. Thondup ist sein Vorname, einen Nachnamen hat er nicht.

taz: Thondup, welche Informationen haben Sie aus Tibet?

Thondup: Ich habe am Sonntag einen Freund getroffen, der auch in Berlin lebt. Er erzählte von seinem Onkel in Lhasa, mit dem er telefoniert hatte. Die Lage dort muss furchtbar sein. Die chinesische Seite berichtet von 14 getöteten Tibetern. Der Onkel sprach von deutlich mehr. Tagsüber soll es keine Verhaftungen gegeben haben. Aber nachts seien Soldaten in die Häuser gegangen und hätten Leute mitgenommen. Mindestens 30 Mönche sind angeblich noch im Gefängnis.

Ist es nicht gefährlich, derzeit nach Tibet zu telefonieren?

Das ist es auf jeden Fall. Deswegen haben sie sich verschlüsselt unterhalten. Der Onkel sprach von Schafen, die in diesem Jahr durch Schneefall umgekommen sind. Wir wussten sofort, was er meinte.

Wie geht es dem Onkel?

Er hat große Angst. Deswegen soll ihn keiner anrufen. Wir sollen warten, bis er sich meldet.

Wann sind Sie das letzte Mal in Tibet gewesen?

Oh, das ist schon 23 Jahre her. Wir Exiltibeter stehen alle auf einer schwarzen Liste. Wer einmal illegal die Grenze nach Nepal oder Indien passiert hat, darf nicht wieder einreisen. Viele meiner Schulfreunde wurden verhaftet und in Arbeitslager gesteckt.

Was hat Sie nach Deutschland verschlagen?

Ich habe zunächst in Indien gelebt und dann anschließend drei Jahre in Nepal. Aber dort ist die politische Situation für uns auch schlimm. Sobald wir für Tibet demonstrieren, werden wir auch dort von der Polizei verhaftet und geschlagen. Hier sind wir zwar wenige, aber wir dürfen frei unsere Meinung äußern.

Nicht einmal in Indien dürfen Sie demonstrieren?

Dort ist es zwar nicht ganz so schlimm wie in Nepal oder China. Aber auch die indischen Behörden gehen sehr repressiv mit uns um. Es gibt nur bestimmte Gegenden in Indien, in denen wir uns überhaupt aufhalten dürfen. Sobald wir diese Grenzen überqueren, werden wir verhaftet. Die indische Regierung will es sich mit China nicht verscherzen. In Nepal ist es aber noch schlimmer. Dort schlagen sie fast genauso brutal zu wie die Chinesen. Verwandte berichten, dass sich die Lage für meine Landsleute vor allem in diesem Jahr deutlich verschlimmert hat.

Schon jetzt leben mehr Chinesen in Ihrem Land als Tibeter. Wird es für Ihre Landsleute nicht immer schwieriger?

Ja, wir sind inzwischen Fremde im eigenen Land. Auf einen Tibeter kommen zwanzig Chinesen. Ich sehe es wie der Dalai Lama, der ja gar nicht die vollkommene Unabhängigkeit Tibets fordert, sondern lediglich mehr kulturelle Autonomie. Unsere Religion wird systematisch vernichtet. Ich bin eigentlich gegen Gewalt. Aber wenn das der einzige Weg ist, um auf uns aufmerksam zu machen, dann ist Gewalt manchmal nötig. Leider.

Würde die Unzufriedenheit nachlassen, wenn es den Tibetern wirtschaftlich und sozial bessergehen würde?

Vom Wirtschaftsaufschwung in China haben die Tibeter bisher null Cent. Es sind in den letzten Jahren zwar viele Touristen nach Tibet gekommen, davon haben aber nur die zugezogenen Chinesen profitiert. Viele junge Tibeter finden auch weiterhin keine Arbeit. Ein Wirtschaftsaufschwung bei den Tibetern würde ohnehin nichts daran ändern, dass wir im Geiste unterdrückt werden.

Was glauben Sie, wie es in Tibet weitergehen wird?

Trotz der Niederschlagung glaube ich, dass die Tibeter weiterprotestieren werden. Das Gleiche müssen wir von hier aus auch tun. Wir dürfen nicht aufgeben.

INTERVIEW: FELIX LEE

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