„Die Forderungen müssen angepasst werden“

Wie viele Menschen an Ostern für den Frieden marschieren ist gar nicht bedeutend, sagt der Soziologe Thomas Kern

THOMAS KERN, 40, ist Autor des Buchs „Soziale Bewegungen“ (VS Verlag, 2008).

taz: Herr Kern, an diesem Wochenende werden wieder Zehntausende bei Ostermärschen erwartet. Wie bewerten Sie dieses Ritual einer in die Jahre gekommenen sozialen Bewegung? ?

Thomas Kern: Protestwellen sind chronisch instabil. Vor diesem Hintergrund verfügt die Ostermarschbewegung über eine erstaunliche Kontinuität.

Wovon hängt es ab, ob eine soziale Bewegung in der Wissenschaft als erfolgreich gilt?

Es gibt keine klaren Erfolgskriterien. Am Maßstab der eigenen Ziele gemessen, würde die Bilanz der Friedensbewegung vermutlich wenig positiv ausfallen, da kaum ein Krieg durch ihre Proteste verhindert wurde. Ein anderes Kriterium wäre die kulturelle Durchdringung der Gesellschaft mit bestimmten Ideen und Werten – wie der sozialen Ächtung von Gewalt. Hier hat die Friedensbewegung Beachtliches geleistet, weil sie die Politik in der Öffentlichkeit unter Begründungszwang setzt. Sie macht auf die oft geringen Erfolgschancen gewaltsamer Handlungsstrategien aufmerksam und fordert immer wieder Alternativen ein.

Und welche Rolle spielt dann die Teilnehmerzahl bei Aktionen?

Für die Organisatoren ist die Teilnehmerzahl ein wichtiges Erfolgskriterium. Aber erfolgreiche Mobilisierung und das Durchsetzen der gesellschaftlichen Ziele hängen nicht unbedingt zusammen.

Was kann eine Interessengruppe unternehmen um wieder als zeitgemäße Bewegung wahrgenommen zu werden?

Jede soziale Bewegung befindet sich hier auf einer schwierigen Gratwanderung. Einerseits muss sie ihre Anliegen immer wieder neu an die herrschenden Vorstellungen anpassen, andererseits darf sie dadurch nicht ihr Profil verliert.

Kann denn die Forderung nach Frieden überhaupt angepasst werden?

Ja, indem man die Forderung nach Frieden mit Themen verbindet, die sich in der aktuellen Debatte befinden, wie Globalisierung oder Klimawandel. In den USA ist es der Friedensbewegung gelungen, die Probleme beim Hurrikan Katrina in einen Friedenskontext zu stellen: Die vielen Soldaten und Gelder, die für den Irak-Krieg eingesetzt werden, fehlten für die Bewältigung der Folgen der Katastrophe.

INTERVIEW: DANIEL KUMMETZ

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