Der Strom nach Stade

Nicht nur Straßen – auch Bahnen schaffen sich Nachfrage selbst. Zwischen Hamburg und Cuxhaven lockt besseres Angebot viele neue Fahrgäste an

VON GERNOT KNÖDLER

Südlich der Elbe fährt die Hamburger S-Bahn, als sei ständig Fußball-WM. In der Hauptverkehrszeit verkehren dort, wo es möglich ist, Züge mit neun statt der üblichen sechs Wagen. „Das machen wir sonst nur bei Großereignissen“, sagt S-Bahn-Sprecher Ingo Priegnitz.

Die S-Bahn reagiert auf den starken Anstieg der Fahrgastzahlen. Seit die S-Bahn über das Hamburger Gebiet hinaus bis Stade fährt, verzeichnet die betroffene Linie 25 Prozent mehr Fahrgäste. Die Bahngesellschaft Metronom, die ebenfalls seit dem Fahrplanwechsel Anfang Dezember den Regionalexpress nach Cuxhaven betreibt, zählt sogar 30 Prozent mehr Kunden. „Das ist schon ein Renner“, freut sich Gisela Becker vom Hamburger Verkehrsverbund (HVV).

Statt einander Kunden wegzunehmen, haben sich die S-Bahn und der Metronom offenbar Kunden zugetrieben. Karl-Peter Naumann vom Fahrgastverband Pro Bahn findet das normal: „Überall, wo sowas gemacht worden ist, haben sie solche Zuwächse gehabt.“ Werde der öffentliche Nahverkehr an einer Stelle verbessert, wirke sich das immer auf das Gesamtsystem aus.

Dass die S-Bahn seit Dezember von Pinneberg über den Hauptbahnhof bis Stade durchfährt, machen neuartige Triebwagen möglich, die den Strom sowohl von einer Oberleitung als auch von einer Stromschiene abnehmen können. Den Kunden erspart das zwar nur drei Minuten reine Fahrzeit. Sie müssen aber nicht mehr umsteigen und können in der Hauptverkehrszeit mit einem 20-Minuten-Takt rechnen. Um das Angebot zu verdichten, wurden die Fahrzeiten des Metronom, der nicht überall hält, auf die S-Bahn abgestimmt.

„Ein verlässlicher Takt ist mindestens genauso wichtig wie ein schnelles Angebot“, glaubt S-Bahnsprecher Priegnitz. Er vermutet, dass neben den Menschen aus den Städten an der Strecke viele mit dem Auto zu den Haltepunkten fahren, dort parken und entspannt mit der Bahn in die Stadt reisen, statt auf der berüchtigten Bundesstraße 75. „Die Leute haben nur auf eine Alternative gewartet“, sagt er.

Pro Bahn verweist darauf, dass Metronom neue Wagen einsetze. Außerdem sei das Personal „extrem freundlich“, findet Naumann. „Wir sind sehr präsent an der Strecke gewesen“, sagt Tatjana Festerling von Metronom. Die Bahngesellschaft machte den Leuten mit Loktaufen und Zugpräsentationen Lust auf das Bahnfahren. Den Zuwachs bezeichnet auch sie als „üblich“.

Priegnitz wertet die Fahrgastzuwächse als Beleg dafür, dass ein Ausbau der S-Bahnen von Hamburg nach Schleswig-Holstein hinein sinnvoll wäre. Im Februar hatte der Kieler Verkehrsminister Dietrich Austermann (CDU) mit einem „Drei-Achsen-Konzept“ vorgeschlagen, bis 2015 die Verbindungen von Elmshorn, Kaltenkirchen und Bad Oldesloe auszubauen. Damit ließen sich die am stärksten von Autos befahrenen Verkehrsachsen Schleswig-Holsteins entlasten.

60 bis 75 Prozent der nötigen 500 Millionen Euro könnten mit Geld bezahlt werden, das dem Land nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz zusteht. Den Rest müsste die Bahn bezahlen. Dieses Vorhaben stünde einer Stadtbahn in Kiel nicht entgegen, sagt Austermanns Sprecher. Das Kieler Projekt sei „visionär“ und erst später reif.

„Das Achsenkonzept ist mehr ein Konzept für Schleswig-Holstein“, sagt Naumann. „Hamburg sollte das mit einer Stadtbahn ergänzen.“ Über den Wiederaufbau einer solchen Straßenbahn feilschen CDU und Grüne (GAL) bei ihren Koalitionsverhandlungen. Die Hamburger Stadtentwicklungsbehörde verfolgt Austermanns Pläne „mit Interesse“. Zurzeit lässt sie von der Hochbahn und vom HVV den eigenen Bedarf ermitteln.