Auf in die Öffentlichkeit!

betr.: „Eine Niederlage für die ganze Stadt“, taz vom 17. 3. 08

Nach zwölf Tagen BVG-Streik in Berlin hat die Gewerkschaft Ver.di den Streik erst einmal als „Zeichen des guten Willens“ aufgehoben. Die Verhandlungspartner Finanzsenator Sarrazin und Bürgermeister Wowereit sind in den Osterurlaub verschwunden und Ver.di macht ohne Ergebnisse einfach ’nen Rückzug. Schon letzte Woche verkündete Ver.di-Verhandlungsführer Bäsler diese merkwürdige Streiktaktik: Die Macht läge ja in den Händen der Arbeitgeber, man fände es auch gar nicht schön, falls noch die GDL die S-Bahnen bestreiken würde. Schon vor den eigentlichen Verhandlungen wurde eine Aussetzung des Streiks angeboten. Auf einen Großteil der Forderungen wurde einfach so verzichtet, von einer Mindestanhebung um 250 Euro pro Monat wurde nicht mehr geredet und von den acht bis zwölf Prozent hört man auch nichts mehr. Nun setzt die Gewerkschaft den Streik aus und Bäsler, auf die Frage, was denn passiert, falls sich trotz Ver.dis Verzichtserklärungen nicht auf Verhandlungen eingelassen werde, erklärte: da werde man notfalls ein bisschen weiterstreiken.

Ein bisschen streiken? Ein bisschen Gewerkschaft, oder was? Wenn man den Streik beobachtet hat, dann wurde eins klar: Ver.di macht auf Streik, doch die Streikenden sah man nicht. Die Busse und U-Bahnen fuhren nicht, aber die Forderungen und Wut der Belegschaft blieben weitestgehend im Hintergrund. Wie schon bei dem wohl perversesten Ver.di-Streik der letzten Jahre, dem Telekom-Streik, wo die Streikenden sich täglich wie schweigende Lämmer im Hinterhof der Ver.di-Hauptzentrale versammeln ließen, statt auf die Straßen zu gehen. Auch die BVG-Streikenden sah man eher versteckt vor den Depots, es gab lediglich eine – von Ver.di organisierte – sichtbare größere Demonstration in der zweiten Streikwoche. Es gab keine Mobilisierung, es gab keine Aufklärung und es gab keine Diskussion zwischen Streikenden und der Bevölkerung. Wo keine Gegenargumentation gegen Sarrazin, da halt auch keine Gegenstimmung. Und so wurden einem die Argumente und Forderungen der Streikenden über die Medien je nach deren politischer Richtung präsentiert. Lediglich die Tatsache, dass der größte Teil der Bevölkerung von Hartz IV, Lohnsenkungen und Sparmaßnahmen betroffen ist, sorgte in der Berliner Bevölkerung für Sympathie und man organisierte halt irgendwie seine Fahrten.

Doch genau das ist der Punkt, wo man ansetzen muss: Dreckig geht es vielen, und spätestens im Sommer, als der Streik der Lokführer den Bahnkonzern und die Bundesregierung in ihren Privatisierungsvorhaben störte, sahen viele, dass man sich wehren kann. Und das müssen wir zum Teil selber in die Hand nehmen. Die heutigen Gewerkschaften haben kein Interesse daran, dass wir als Mitglieder aktiv werden. Ihre Kämpfe sind längst Show-Kämpfe, ihre Organisation und vor allem die Tatsache, dass wir es sind, die da die ganzen Profite erwirtschaften, sind das einzige, was wir gegen die Organisationen der Arbeitgeber in der Hand haben. Wenn also die Gewerkschaften, wie jetzt Ver.di im BVG-Streik, sich einfach über unsere Forderungen hinwegsetzen und so Pseudostreiks machen, die nicht weh tun, weder wirtschaftlich noch politisch, dann müssen wir als Belegschaft und Mitglieder das tun und selber aktiv werden. Statt wie im BVG-Streik vor den Depots zu stehen, auf in die Öffentlichkeit, vor die Zentralen der Parteien und des Senats, vor die Zentralen der Arbeitgeber. Und vor allem auf die Bahnhöfe und in die Stadt, um die Bevölkerung zu mobilisieren. Denn betroffen sind wir alle von den Sparmaßnahmen und Einschnitten im öffentlichen Dienst, sei es in der Gesundheitsversorgung, an den Schulen, Unis oder in den Kitas. Lohnsenkungen und Verlängerung der Arbeitszeiten gibt es in allen Branchen. Nutzen wir diese Voraussetzungen und bündeln wir unsere Wut und unsere Kämpfe. VERA MUSMANN, Berlin

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