Welt aus Staub

Die Protagonisten in Hartmut Bitomskys Essayfilm „Staub“ sind gerade einmal ein Zehntel Millimeter groß und den meisten nur Ärgernis und Gegenstand der Bekämpfung. Dabei ist Staub weit mehr als der Beginn des Schmutzes

„Warum wird der Staub überhaupt so energisch bekämpft?“, fragt die Stimme aus dem Off eine staubsaugende Frau. „Ich weiß es nicht. Ich mag es nicht, wenn Ecken dreckig sind oder…“ „Ich hab gehört, dass 95 Prozent des Staubes in meinem Haus vom Menschen stammen, also: Hautpartikel, Haare, Schuppen.“ „Ach so, das wusste ich gar nicht.“ „Also mit dem Staub hat man eigentlich mit sich selber zu tun.“ „Ja, aber trotzdem würde ich ihn immer entfernen.“

Die überwiegende Mehrheit der Protagonisten in Hartmut Bitomskys Essayfilm „Staub“ sind gerade mal ein Zehntel Millimeter groß, gerade noch mit dem Auge zu erkennen. Die kleinsten noch unmittelbar sichtbaren Dinge, von denen ein Film handeln kann. Ein Problem der Sichtbarkeit, des im Verborgenen Lauernden. Beständig scheint der Staub zu verschwinden, um noch im Verschwinden überall zurückzukehren. Auf den ersten Blick ist er für die meisten lediglich der Abfall der Zivilisation und der Beginn des Schmutzes: unerwünschte Materie. „Staub ist Arbeit und ein Geschäft“, heißt es gleich zu Beginn. Putzkolonnen, Wissenschaftler und Erfinder, Botaniker genauso wie Meteorologen, Astronomen, Mediziner und Künstler, ganze Industrien widmen sich seiner Erforschung, seiner Bekämpfung und Nutzbarmachung.

Bitomsky sucht die Menschen auf, die sich auf den Weg zur staubfreien Erde begeben, die aus Staub Bomben bauen wollen, die sich mit der Gefährlichkeit des Feinstaubs für die Gesundheit oder seiner Rolle bei der Entstehung des Kosmos auseinandersetzen. Er folgt dem Weg der Massen feinster Partikel durch Haushalte, Fabriken, Labore, Staubtestanlagen bis ins Weltall. Er sammelt Interviews, wissenschaftliche Fakten, Alltägliches, verdichtet Schicht für Schicht, bricht und überbrückt, assoziiert und verknüpft, bis die Montage eine Kultur des Staubs auftauchen lässt, in der jener eine Grenze zu markieren scheint, an der Wesen, Herkunft und Zukunft des Menschen gerade noch erfahrbar sind. Der Staub nicht nur als Problem der Hygiene, der Gesundheit, der Ästhetik und des Militärs, sondern ebenso als Informant, als Medium der Erkenntnis und Problem der Wahrnehmung. Staub als Protomaterie, als Gesamtheit der im Verborgenen existierenden Phantomteilchen, die in sich die Potenz tragen, Materie zu bilden. Als gesellschaftliches, politisches und philosophisches Problem.

Schließlich ist „Staub“ auch ein Film über die Zeit und das Ende eines Zeitalters. Denn im Gegensatz zum staubigen Industriezeitalter sind es in den nanotechnologischen Labor/Fabriken der kommenden Gegenwart nur noch die lebendigen Menschen, die die Verwirklichung der absoluten, staubfreien Reinheit stören. Mit Staub hat man eben eigentlich mit sich selbst zu tun.ROBERT MATTHIES

Do, 27. 3., 20 Uhr, Lichtmess, Gaußstraße 25