„Wir leisten Pionierarbeit“

Schulleiter Philipp Palm spricht von normalen Startproblemen. Das Gewaltproblem werde aufgebauscht. Im April ist Lehrerwahl, im Herbst gibt es die ersten Abschlüsse

PHILIPP PALM, 35, ist Leiter der Neuen Schule Hamburg und Lebensgefährte von Sängerin Nena Kerner

taz: Herr Palm, man liest von Gewalt an Ihrer Schule. Ist das sehr freie Konzept eine Überforderung für die Beteiligten?

Philipp Palm: Es ist nicht so, dass wir in einer schweren Krise stecken. Im Gegenteil. Die Entwicklung unserer Schule ist positiv. Wir hatten acht Abmeldungen, das ist im Vergleich zu anderen Schulen, die nach dem Sudbury-Konzept arbeiten, wenig. An der ersten Sudbury Valley School, die 1968 in Massachusetts gegründet wurde, war nach dem ersten Jahr nur noch die Hälfte da. Wir leisten Pionierarbeit. Die Sache muss sich entwickeln.

Aber man liest, dass große Schüler die kleinen unterdrücken. Man braucht doch Regeln, um sie zu schützen.

Das Gewaltthema wird aufgebauscht. Es hat einen Vorfall gegeben, das stimmt. Aber ich möchte eine Schule sehen, an der es 2007 keine gewalttätige Auseinandersetzung gab. Es ist in dem Artikel so beschrieben, als ob die Erwachsenen da zugucken und nichts tun. Das ist Unfug. Wir haben ein Lösungskomitee, die Judikative, da werden solche Vorfälle nachbesprochen. Es geht darum, dass die Schüler in ihrer Freiheit Verantwortung übernehmen. Wir hatten ohne Regeln angefangen, inzwischen haben die Schüler ein Regelwerk von mehreren Seiten entwickelt.

Was denn zum Beispiel?

Eine der ersten Regeln war, dass Schüler voreinander Respekt haben sollen. Dazu gibt es inzwischen jede Menge Unterpunkte. Und zu dem Diebstahl: Es war für uns alle sehr bitter, dass wir unsere Jacken mit Handys drin nicht mehr einfach draußen hängen lassen konnten. Als die Schuldige gefunden wurde, haben 90 Leute nach vierstündiger Debatte entschieden, sie muss gehen.

Warum kündigen Lehrer?

Auch das ist absolut normal. Der eine Lehrer war nur als Honorarkraft tätig und hatte aus privaten Gründen aufgehört. Er will sich im Sommer hier neu bewerben. Die Lehrerin hatte sich krank gemeldet und dann gekündigt. Sie war anscheinend mit der Situation im Alltag überfordert. Wir hatten eigentlich gesagt, wir warten die Wahlen ab.

Welche Wahlen?

Die Lehrer werden einmal im Jahr von den Schülern gewählt. Das steht jetzt im Frühjahr an.

Wenn die Schüler sie nicht wählen, müssen sie gehen?

Ja. Wobei es eher um ein Feedback geht, um eine bestätigende Wahl. Wir sind dabei, das zu entwickeln.

Wo nehmen Sie dann neue Lehrer her?

Wir haben hier einige Lehrer zu Probewochen.

Sind denn die 85 Kinder ausreichend versorgt?

Wir haben vier feste Lehrer und vier Honorarkräfte. Eine Stelle ist offen. Das ergibt bei den Festangestellten eine Schüler-Lehrer-Relation von eins zu 17, das ist Hamburger Durchschnitt.

Die Behörde fordert Sie auf, zwei Lehrer mehr einzustellen.

Damit ist die eine Stelle gemeint. Wir hatten es uns leichter vorgestellt, Lehrer zu finden. Denn die Behörde hat uns zur Auflage gemacht, dass die ihr zweites Staatsexamen haben müssen. Wir haben sehr viele Bewerber mit akademischen Abschluss, die wir deshalb nicht einladen können.

Sind die Kinder ausreichend versorgt. Eine Mutter klagte, sie wären sich selbst überlassen.

Sie sind ausreichend versorgt. Schon deswegen haben wir ja die Honorarkräfte, zum Beispiel eine Musikpädagogin ohne zweites Staatsexamen.

Wie kontrollieren Sie, ob die Kinder was lernen?

Es gibt das Lernarchiv, in dem die Schüler dokumentieren, was sie arbeiten. Zum anderen gibt es im April in Deutsch, Mathe und Englisch eine Lernstandserhebung von der Behörde. Und im Herbst wird die erste Gruppe den Realschulabschluss machen. Dann wird sich die Kritik relativieren.INTERVIEW: KAJ