SPD-Distrikt befürchtet Putschversuch

Der Vorstand in Hamburg-Billstedt glaubt an eine unfreundliche Übernahme und hat Mitgliedsanträge aus der alevitischen Gemeinde abgelehnt. Masseneintritte als Gestaltungsinstrument haben in Hamburg Tradition – allerdings eher bei der CDU

In der Hamburger CDU haben Masseneintritte und -übertritte in Ortsvereine Tradition. Zu Zeiten des verstorbenen Jürgen Echternach – im Amt von 1974 bis 1992 – sprachen die Mitglieder gar von der Politik der „fliegenden Bezirke“. Damit wurden die Machtverhältnisse schlagartig verändert, und bei Wahlen die gewünschten Kandidaten durchgesetzt. 2001 wurde augenscheinlich mit dieser Methode der damalige CDU-Fraktionschef des Bezirks Mitte vom Kreisvorsitzenden ausgebootet: Durch die Übertritte hatte er im eigenen Ortsverband plötzlich keine Mehrheit mehr hinter sich. 2006 führten solche Masseneintritte dann sogar zu einer Krise der Landespartei: Neben zahlreichen Aleviten in Finkenwerder traten in Hamburg-Billstedt auf einen Schlag 89 Mitglieder der christlich-aramäischen Glaubensgemeinschaft dem dortigen Ortsverein bei. Und in Jenfeld entschieden sich auf einen Schlag 40 Bundeswehrsoldaten, CDU-Mitglieder zu werden.  KNÖ

VON GERNOT KNÖDLER

Im SPD-Distrikt des Hamburger Stadtteils Billstedt gibt es einen kleinen schmutzigen Streit über die Aufnahme von Aleviten. Der Vorstand des Ortsvereins lehnte die Mitgliedsanträge von einem guten Dutzend Leuten ab, die der islamischen Glaubensrichtung angehören. Dem Vorsitzenden Dieter Kauczor wurde intern Fremdenfeindlichkeit unterstellt. Der Vorstand habe nur verhindern wollen, dass durch den Masseneintritt im Distrikt geputscht werde, wehrt sich Kauczor.

Dem Distriktvorsitzenden stand dabei nach eigenen Worten vor Augen, was sich vor zwei Jahren in der Billstedter CDU abspielte und bei den Hamburger Christdemokraten Tradition hat: Durch den massenhaften Ein- und Übertritt von Mitgliedern werden die Kräfteverhältnisse in und zwischen den Distrikten verschoben. Die SPD ist bisher nicht durch derlei Machenschaften aufgefallen.

Nach Auskunft des SPD-Kreisvorsitzenden und Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs gehören die meisten der abgelehnten Bewerber einer alevitischen Gemeinde im Stadtteil Rothenburgsort an. Bei rund 400 Parteimitgliedern im Distrikt, von denen Kauczor zufolge 110 zu den jüngsten Vorstands- und Delegiertenwahlen kamen, stellen ein gutes Dutzend geschlossen stimmender Leute durchaus eine Macht dar.

Er glaube nicht, dass die Aufnahme dieser Leute an sich problematisch sei, sagte Kahrs. „Es war nur ein bisschen viel auf einmal.“ Der Ortsvorstand habe in jüngerer Zeit 20 neue Mitglieder aufgenommen, von denen keiner bei Parteiveranstaltungen aufgetaucht sei, die keine Beiträge gezahlt hätten und nicht erreichbar gewesen seien. Bevor er einen Schwung neuer Mitglieder aufnehme, wolle der Vorstand diese erst einmal kennen lernen.

Kahrs muss sich als Kreischef mit den Widersprüchen der Abgewiesenen auseinander setzen. Er habe sich mit einigen der Abgewiesenen bereits getroffen und hoffe, ohne ein formales Verfahren auszukommen. „Wir schieben das erst mal und hoffen, dass wir eine vernünftige Lösung hinkriegen“, sagt der Kreisvorsitzende. Die Beitrittswilligen würden jetzt zu Veranstaltungen eingeladen, so dass man sich kennen lernen könne.

Der Distriktvorsitzende Kauczar wehrt sich gegen den Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit. Seit Jahresbeginn seien genauso viele Bewerber aus Einwandererfamilien aufgenommen wie abgelehnt worden. „Bei den letzten Organisationswahlen hat mich die große Mehrheit der Mitglieder mit Migrationshintergrund gewählt“, sagt Kauczar. Im Wahlkreis habe ein Kandidat mit Migrationshintergrund das Direktmandat errungen. Dass das Thema jetzt auf dem Tapet sei, erzeuge nur Beifall von rechts. „Den Beifall möchte ich auf keinen Fall haben“, sagt der Vorsitzende des Ortsverbands.

Sein Misstrauen erklärt Kauczar mit den anstehenden Wahlen des Distriktvorstands sowie der Delegierten für den Kreis- und Landesparteitag. Da sei jeder Distrikt besonders misstrauisch. „Wir hoffen auf Eintritte aus Interesse an der politischen Arbeit und nicht weil Wahlen sind“, sagt er.

Der frisch gewählte Billstedter Bürgerschaftsabgeordnete Frank Ramlow hält die Vorstellung, hier sei nach CDU-Vorbild ein Putsch geplant gewesen, für unsinnig. Die Organisationswahlen für parteiinterne Funktionen fänden alle zwei Jahre statt. Erst in drei Jahren würden wieder Kandidaten für die Bürgerschaft und die Bezirksversammlung gekürt. Es sei allerdings wichtig, dass der Ortsverband neue Mitglieder kennen lerne, um diese eingliedern zu können. „Wenn einer bei der dritten Aufforderung nicht kommt, hat er offensichtlich kein Interesse“, vermutet er.

Abschreckend ist für die Sozialdemokraten der Blick auf die CDU. Deren Ortsverband Billstedt traten vor zwei Jahren an die 80 Mitglieder einer christlich-aramäischen Gemeinde bei. Bei den Vorstandswahlen wählten 78 einen neuen Vorsitzenden: David Erkalp. Die 13 christlich-deutschen Mitglieder enthielten sich der Stimme. Erkalp ist inzwischen in die Bürgerschaft eingezogen.

Auch die Aleviten haben in einem ähnlichen Zusammenhang bereits von sich reden gemacht. Im Stadtteil Finkenwerder hatte der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Heiko Hecht 200 Mitglieder aus der Glaubensgemeinschaft für seinen Ortsverband werben lassen. Einige von ihnen wohnten gar nicht im Stadtteil sondern in anderen Städten oder wussten nichts von ihrem Glück.